Castoren sind keine Überraschung

Ganz so ahnungslos war man in Bayern nicht, was die Unterbringung von Atommüll betrifft

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Die führende CSU-Riege in Bayern war nach eigenen Angaben nicht in die Castor-Planungen einbezogen. Das Gegenteil ist richtig, sagt die Bundesregierung.

In der Diskussion um die Zwischenlagerung von 26 Castorbehältern mit mittel- und hochradioaktivem Atommüll aus der Wiederaufarbeitung haben führende CSU-Politiker ganz offensichtlich die Unwahrheit gesagt und die Öffentlichkeit hinters Licht geführt. Wie aus der »nd« vorliegenden Antwort der Bundesregierung auf eine Parlamentsanfrage der Grünen hervorgeht, hat es entgegen bayerischen Behauptungen sehr wohl Gespräche zwischen dem Bund und den Ländern über den Verbleib der Castoren gegeben. CSU-Granden hatten jedoch mehrfach erklärt, sie seien vor der Ankündigung von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD), die Behälter auf mehrere Bundesländer und auch auf Bayern zu verteilen, nicht konsultiert worden.

Nach monatelangem Tauziehen hatte Hendricks am 19. Juni nach einem Treffen mit den Chefs der deutschen AKW-Betreiber mitgeteilt, dass die Castorbehälter auf vier Bundesländer verteilt werden sollen. Außer Bayern sollen demnach auch Baden-Württemberg, Hessen und Schleswig-Holstein Atommüll aufnehmen. Die Regierungen dieser drei Länder sind zwar grundsätzlich dazu bereit, an den in Frage kommenden Zwischenlagerstandorten gibt es aber zum Teil massive Widerstände. Streng genommen, haben allerdings weder die Bundesländer noch die Kommunen ein Mitspracherecht. Die Energiekonzerne müssen Transportanträge für bestimmte Zwischenlager stellen, das Bundesamt für Strahlenschutz muss sie genehmigen.

Konkret sieht Hendricks’ Konzept vor, dass bis 2017 fünf Behälter mit mittelradioaktivem Atommüll im baden-württembergischen Philippsburg eingelagert werden sollen. 21 Behälter mit hochradioaktivem Atommüll will die Bundesumweltministerin bis 2020 auf die Zwischenlager bei den Atomkraftwerken Isar in Bayern, Biblis in Hessen und Brokdorf in Schleswig-Holstein verteilen. Deutschland ist vertraglich verpflichtet, die Castoren von den Wiederaufarbeitungsfabriken in La Hague (Frankreich) und Sellafield (Großbritannien) zurückzunehmen.

Als einer der ersten hatte Bayerns Staatskanzleiminister Marcel Huber (CSU) gegen den Vorschlag aus Berlin geätzt. Die angeblich einseitigen Festlegungen des Bundes seien »politisch unklug und dreist«. Huber drohte, die Gespräche über die Energiewende platzen zu lassen: »Wenn der Bund hier allein entscheiden will, stellt er eine Einigung bei der Energiewende insgesamt in Frage«. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) legte nach. Hendricks verstoße gegen die in einer Koalition üblichen Umgangsformen, sagte er: »Wir haben vereinbart, dass wir alle Fragen der Energiewende gemeinsam entscheiden.« Das Konzept sei nicht mit den Ländern abgestimmt, wetterte auch Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) und sprach von einem »unfreundlichen Akt.«

Alles unwahr, erklärt nun die Bundesregierung. In ihrer Antwort auf die Grünen-Anfrage listet Umweltstaatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter eine ganze Reihe von Unterredungen auf, die der Bund und die Länder einschließlich Bayerns in dieser Sache geführt haben. Demnach gab es bereits 2013 und 2014 Gespräche zwischen den für die Atomaufsicht zuständigen Abteilungsleitern der Bundesländer. Später hätten ranghohe Vertreter des Berliner und Münchner Umweltministeriums bilateral über die Sache verhandelt. Auch Ministerin Hendricks selbst habe mit Seehofer die Angelegenheit erörtert. »Zuletzt hat Herr Staatssekretär Flasbarth (vom Bundesumweltministerium, Anm. RP) in den Tagen vor dem Treffen mit den Energieversorgungsunternehmen (EVU) die Umweltminister der vier betroffenen Bundesländer über das Konzept und das für den 19. Juni 2015 geplante Gespräch mit den EVU unterrichtet«, heißt es in der Antwort. Die atompolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Sylvia Kotting-Uhl, erklärte am Montag: »Diese grobe Irreführung der Bevölkerung grenzt ja schon ans Lügen.« Die CSU-Führung »markiert gern den starken Mann, in Wirklichkeit verhält sie sich aber wie ein äußerst unseriöser Waschlappen. Schluss mit dem feigen Wegducken, Herr Seehofer! Kommen Sie endlich Ihrer Verantwortung nach.«

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