Als Honecker auf Schmidt traf

Die KSZE-Schlusskonferenz in Helsinki wurde auch zum Podium deutsch-deutscher Annäherung

  • Claus Dümde
  • Lesedauer: 4 Min.
Nicht nur der bis aufs letzte Komma ausgehandelte KSZE-Vertrag, sondern auch die Atmosphäre in Helsinki stellte die Zeichen der Weltpolitik zumindest vorübergehend auf Entspannung.

Eine Konferenz wie die in Helsinki hatte keiner der Teilnehmer zuvor erlebt. Die KSZE-Schlussakte war in zweijährigen Verhandlungen bis zum letzten Komma ausgehandelt worden. Die Staatsmänner fast aller Länder Europas sowie der USA und Kanadas kamen in die finnische Hauptstadt, um das Dokument zu unterzeichnen, obwohl es in jedem seiner drei »Körbe« jede Menge Kompromisse zwischen Positionen von NATO, Warschauer Vertrag und neutralen Staaten gab, die auch künftig Konflikte befürchten ließen.

Dennoch hatten die in der Schlussakte fixierten Absichtsbekundungen systemübergreifender Zusammenarbeit für Sicherheit in Europa, in Wirtschaft, Wissenschaft, Technik und Umwelt, in humanitären Fragen bis zum Informations- und Kulturaustausch in Ost und West Hoffnungen geweckt, den Kalten Krieg endlich zu überwinden. Das konnte kein ernst zu nehmender Politiker ignorieren. Und die finnischen Gastgeber machten es ihnen leicht, miteinander zu reden.

Für die Delegationen war das große Vestibül der Finlandia-Halle reserviert, wo so mancher östlicher Partei- und westlicher Staatschef einander das erste Mal leibhaftig - und zwanglos - begegneten. Das galt besonders für Erich Honecker, denn die diplomatische Blockade der DDR war noch nicht lange vorbei. »Neues Deutschland« veröffentlichte Fotos, die ihn im Gespräch mit Finnlands Präsident, den Regierungschefs Schwedens, Norwegens, Italiens, Belgiens und Kanadas zeigen. Mit letzterem wurde gleich die Aufnahme offizieller Beziehungen vereinbart.

Manchmal halfen der Zufall - und das Protokoll. Da die Sitzordnung der Delegationen nach der französischen Staatsbezeichnung festgelegt worden war, saß Honecker beim Empfang des finnischen Präsidenten und bei der Unterzeichnung der Schlussakte zwischen Bundeskanzler Helmut Schmidt und US-Präsident Gerald Ford. Der suchte Kontakt zu seinem Nachbarn. Fernsehbilder und Fotos zeigen beide im angeregten Gespräch, dazwischen in der Hocke DDR-Protokollchef Franz Jahsnowski als Dolmetscher.

Im ND wurden gleich zwei Fotos davon gedruckt. In der von der Agentur ADN verbreiteten »offiziellen Nachricht« ist von »Genugtuung über die bisherigen Fortschritte der internationalen Entspannung« und dem »erfolgreichen Verlauf« der Konferenz die Rede. Ford habe »seine Überzeugung« geäußert, »dass die Beziehungen friedlicher Koexistenz zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung die einzige Alternative zur Lösung der vor den Völkern stehenden Probleme sind«. Honecker habe die große Bedeutung der Verbesserung der Beziehungen UdSSR-USA für den Weltfrieden unterstrichen. Schnell kam in Helsinki der Witz von den drei Großmächten mit U auf: »UdSSR, USA, Unsere DDR«.

Noch karger waren die im ND gedruckten ADN-Meldungen zu den beiden Gesprächen Honecker-Schmidt. Der SED-Chef und der Bundeskanzler waren zuvor noch nie zusammengetroffen und hatten viel zu besprechen. Denn die bei Abschluss des Grundlagenvertrags Ende 1972 abgesteckte Agenda war längst nicht abgearbeitet, bei vielen Fragen knirschte es gewaltig. Honecker hatte Schmidt signalisiert, in Helsinki könne man darüber detailliert reden.

Das taten sie gleich am ersten Konferenztag, mehr als anderthalb Stunden lang. Näheres erfuhren die Zeitungsleser in der DDR nicht. Aber die im Westen. Denn Schmidts Regierungssprecher hatte dpa dazu gebrieft, während dutzende Berichterstatter aus aller Welt dicht gedrängt in einem schmalen Raum auf Statements von Honecker und Schmidt warteten. Als sie kamen, empfingen sie grelle Scheinwerferstrahlen und Blitzlichtgewitter. »Fotografen aus bei…, zwei deutschen Staaten, aber alle mit japanischen Kameras«, sagte Schmidt. Der Bonner Starfotograf Jupp Darchinger widersprach: »Hier ist auch eine Leica.« Darauf Honecker: »Von Zeiss ist doch bestimmt auch eine dabei.« Aber keine Reaktion. DDR-Protokoll-Fotografen kannten nur Nikon.

Schmidt sagte dann kryptisch, er und Honecker hätten »mit einer sehr breit angelegten Tour d’Horizont« angefangen, einem Meinungsaustausch über die ganze Breite der Fragen zwischen DDR und BRD. Die Unterhaltung sei »sehr sachbezogen, nüchtern und unverkrampft« gewesen und werde noch in Helsinki fortgesetzt. »Der heutige Meinungsaustausch war sehr nützlich«, fügte Honecker hinzu.

Es ging u. a. um die Neufestlegung der von Bonn gezahlten »Transitpauschale« für den Straßen- und Bahnverkehr zwischen BRD und Westberlin und den westlichen Wunsch nach »Grunderneuerung« der Transitautobahn von Helmstedt nach Westberlin, hatte Schmidts Sprecher erklärt. Der »Spiegel« machte daraus, aus Indiskretionen Bonner Beamter und eigenen Spekulationen gleich eine reißerische Titel-Story: »Das Milliarden-Geschäft«.

Wie hartnäckig Honecker und Schmidt darum feilschten, wieviel Bonn für die Verbesserung der Transitwege berappen sollte, wissen wir erst seit Veröffentlichung der geheimen Vermerke beider Seiten über die Gespräche. Und auch, warum der Kanzler so darauf drängte, dass der Autobahnbau »vorrangig behandelt« werde, das aber nicht veröffentlicht werden sollte. »H. Schmidt äußerte, dass er das für die Bundestagswahlen brauche«, die 1976 anstanden, heißt es im DDR-Papier.

Der Autor berichtete 1975 für »Neues Deutschland« von der KSZE-Konferenz aus Helsinki.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal
Mehr aus: