Erleben der Gemeinschaft wichtiger als Erfolg

Eine Patin der Makkabiade: Sarah Poewe, Olympiadritte von 2004, über das jüdische Sportfest in Berlin

  • Lesedauer: 4 Min.

Frau Poewe, Sie waren die Patin der Schwimmwettbewerbe der Makkabiade in Berlin. Wie sind Sie Patin geworden?

Im vergangenen Jahr wurde ich bei einem Lehrgang gefragt, ob ich gerne Schwimmpatin sein möchte. Ich habe mich tierisch darüber gefreut, ich habe selbstverständlich Ja gesagt.

Warum war das für Sie so selbstverständlich, dass Sie gleich zugesagt haben?

Es ist schon etwas sehr Besonderes. Während meiner aktiven Karriere wurde ich oft gefragt, ob ich an Makkabiaden teilnehmen möchte. Leider hatte ich damals nie die Möglichkeit, das Zeitfenster war immer zu: Entweder wegen des Studiums oder ich war gerade in der Vorbereitung für Europameisterschaften, Weltmeisterschaften oder für die Olympischen Spiele. Und jetzt hatte ich die Zeit, was mich sehr gefreut hat.

Was hatten Sie als Patin für eine Aufgabe? Ich habe mir natürlich die Sportevents angesehen und wollte auch ein bisschen Ansprechpartner für die Athletinnen und Athleten sein.

Sie sind auch Vorbild, weil Sie die erste deutsche Sportlerin jüdischen Glaubens sind, die eine Olympiamedaille nach dem Zweiten Weltkrieg gewonnen hat: Bronze mit der 400-Meter-Lagen-Staffel 2004 in Athen. Was macht diese Medaille so besonders?

Die war das i-Tüpfelchen in meiner Karriere. Mir war das zunächst gar nicht bewusst, ich habe das erst später durch die Medien erfahren. Es ist etwas Besonderes. Es ist mein Glaube und auch meine Identität, die dieser Medaille noch eine Extra-Bedeutung verleiht. Selbstverständlich war der sportliche Erfolg aber erst einmal das Wichtigste.

Was ist bei den Makkabi-Spielen vergleichbar mit anderen Wettbewerben? Sie haben Meisterschaften und vier Olympische Spiele aktiv miterlebt, was ist anders hier?

Klar, zum einen nehme ich nicht mehr als Aktive teil. Ich sehe die Spiele ganz anders. Es sind meine ersten Makkabi-Spiele, vorher war ich bei Olympischen Spielen und mehreren Weltmeisterschaften dabei. Dabei ging es immer und vor allem um sportliche Wettkämpfe auf höchstem Niveau.

Und hier in Berlin kam etwas anderes hinzu?

Es geht auch um eine weltweite Gemeinde, mit der die Menschen sich identifizieren. Nicht nur im Sport, sondern auch in der Religion. Das unterscheidet dieses von anderen Sportfesten. Natürlich ging es auch um Erfolge, Medaillen, um die sportlichen Leistungen - für mich standen die als Athletin immer an Nummer eins. Hier spielt aber die eigene Herkunft und die eigene jüdische Identität eine viel größere Rolle.

Die Makkabi-Spiele fanden auf dem Olympiagelände in Berlin statt, das durch die Olympischen Spiele 1936 historisch aufgeladen und belastet ist - für ein jüdisches Sportfest ein besonderer Ort. Dazu in einer vibrierenden Stadt, die Menschen aus aller Welt anzieht. Aus Ihrer Erfahrung als Aktive, wie weit kann man sich auf den Ort einlassen?

Als Aktive wenig - leider wenig. Als Teilnehmer bekommt man meist nicht viel vom Drumherum mit: Man hat ja immer mit seinem Sport zu tun. Man ist im Hotel oder im Olympischen Dorf, und wenn nach den Wettkämpfen noch ein bisschen Zeit ist, dann versucht man zumindest, mal in die Stadt reinzugehen. Aber gleichzeitig möchte man auch andere Sportarten sehen. Ein schwieriger Spagat: Ich kann zum Beispiel nicht sagen, dass ich mich gut in London, Peking, Athen oder Sydney auskenne - diese Städte müsste ich jetzt eigentlich noch einmal besuchen.

Jetzt hatten Sie mehr Zeit, die Atmosphäre aufzusaugen oder auch Wettbewerbe in anderen Sportarten wie Badminton oder Basketball zu sehen - die Wettkampfstätten lagen bei den Makkabi-Spielen sehr dicht beieinander.

Ich sehe mehr andere Sportarten, ich kann mich mit anderen Sportlern austauschen, man lernt noch mehr Menschen kennen: Vor allem das ist schon etwas ganz Tolles für mich.

Eine Besonderheit dieser Makkabi-Spiele war, dass alle rund 2300 Athleten in einem Hotel zusammenwohnten. Haben Sie auch dort in Berlin-Neukölln gewohnt?

Nein, das nicht. Aber ich kann mir die spezielle Stimmung dort sehr gut vorstellen. Es ist noch einmal etwas ganz anderes als in einem Olympischen Dorf, wenn die Athleten wirklich in einem Gebäude zusammen sind, da entsteht noch einmal ein ganz einzigartiges Zusammengehörigkeitsgefühl. Nein, ein Olympisches Dorf ist da noch einmal etwas ganz anderes.

Inwiefern? In so einem Hotel ist alles noch einmal kleiner und damit auch viel dichter beisammen. Ein Beispiel: Dort in so einem Hotel isst man dann wirklich zusammen. Im manchen Olympischen Dörfern ist allein der Speisesaal so groß wie ein Fußballfeld oder noch größer. Da isst man jeden Tag im gleichen Raum zur gleichen Zeit, aber man trifft die Menschen nicht wirklich.

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