Keine Ratten mehr

In Bayreuth ist ein Festspieljahrgang zu Ende gegangen, der sich hören und sehen lassen kann

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Wolken, die in diesem Jahr gelegentlich über dem Grünen Hügel auftauchten und auch die bröckelnde Fassade des Festspielhauses, die mit täuschenden Planen verhängt ist, sind wirklich nur das, was sie sind: Wetter und Renovierungsvorbereitung. Und keine Metapher zur Beschreibung des Zustandes von Deutschlands gewichtigstem Musikfestival. Auch wenn ein auf Krawall gebürsteter voll-, halb- oder nicht professioneller Journalismus das gerne so hätte.

Die »Tristan«-Neuinszenierung von Festspielchefin Katharina Wagner ist erfreulich gut gegangen. Ihre Variante von Wagners subversivstem Werk kann sich hören und sehen lassen. Der frisch gebackene Musikdirektor der Festspiele Christian Thielemann hat es musikalisch einstudiert und überlässt das Ganze hoffentlich nicht - wie er es in Dresden macht - bald Anderen. Und Katharina hat bewiesen, dass sie ihr Handwerk versteht und den Zugang zum Werk ihres Vorfahren hat. Dass da noch Luft bleibt, um das viel beschworene Werkstattprinzip selbst zu praktizieren, ist kein Nachteil. Wie es überhaupt der große Vorzug der Bayreuther Festspiele ist, dass hier auf der Bühne, im Graben und im Saal begeisterte Spezialisten zusammenkommen, die wissen worum es geht. Oder fest entschlossen sind, sich verführen oder aufregen zu lassen.

Wenn sie Glück haben, können sie das Reifen von Produktionen mitverfolgen. Es müssen diese Wiederholungstäter sein, die etwa Hans Neuenfels »Ratten-Lohengrin« zum Kult avancieren ließen. Nun gab es beim letzten Ratteneinfall nach fünf Jahren zwar auch ein paar Buhs für den Regie-Altmeister. Der hat sich im Laufe seiner langen Karriere halt eine Gemeinde von treuen Fans und Gegnern erarbeitet. Ein Gutteil des zwanzigminütigen, am Ende rhythmisch donnernden Abschiedsapplauses, darf Neuenfels aber für sich verbuchen. Auch wenn die »Lohengrin«-Fans besonders beim Strahlemann vom Dienst Klaus Florian Vogt (vollkommen verständlich) aus dem Häuschen waren und auch an seiner Elsa Annette Dasch (nicht ganz so verständlich) einen Narren gefressen hatten. Bei all der drolligen Possierlichkeit der Rattenmaskierung, hat Neuenfels altmeisterlich souverän die Fallhöhe mitgeliefert, die dem märchenhaft Romantischen der Geschichte auf den tief pessimistischen Grund geht. Genau sowas gehört nach Bayreuth.

Dabei ist die musikalische Qualität im Graben, die die besondere Festspielhausakustik als Alleinstellungsmerkmal ausspielt, fast ausnahmslos der bejubelte Standard. Das war bei Thielemanns »Tristan« und bei Petrenkos drittem und letzten »Ring«-Jahrgang so. Das schaffte auch Axel Kober mit der soliden »Holländer«-Variante von Jan Philipp Golger und als Neuling auf dem Hügel auch der Franzose Alain Altinoglu beim »Lohengrin«. Jede Wagnergeneration hat ihre Sängerlieblinge. Neben Klaus Florian Vogt ist Catherine Foster auf gutem Wege eine Brünnhilde von Rang zu werden. Aber auch sonst gab es endlich wieder zumindest den vokalen Standard, den die großen Häuser im Lande in Sachen Wagner aufbieten. Dass besonders der Castorf-»Ring« die Gemüter nach wie vor in Wallung bringt, spricht für und nicht gegen Castorf.

Und sonst? Die Agenda der Festspielleitung hat eine Reihe von Baustellen. Vor allem die eine richtige auf dem Grünen Hügel hinter den Planen der Fassade. Bei der Planung sind die entscheidenden Weichen mit den Inszenierungsteams zumindest in die richtige Richtung gestellt. Auch wenn der nächste »Parsifal« von Jonathan Meese abgerüstet wurde. Aber Barrie Kosky auf die »Meistersinger« und Tobias Kratzer auf den nächsten »Tannhäuser« loszulassen, klingt jetzt schon spannend. Für das übliche Hickhack aus dem Wagnerclan sorgt das Personal selbst (darauf kann man sich verlassen). Für die Tilgung der weißen Flecken beim Umgang mit dem braunen Erbe der Festspiele bietet der Neustart der fabelhaft neugestalteten Villa Wahnfried zumindest schon mal einen inspirierenden Rahmen, da weiterzumachen, wo es nötig ist. Vielleicht zur Abwechslung mal gemeinsam von den Wagnerianern oben auf dem Grünen Hügel und unten in der Villa Wahnfried.

www.bayreuther-festspiele.de

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