Zwischen Liebe und Zorn, Erfüllung und Enttäuschung

Klaus Renfts Tagebücher 1968 bis 1997: »Die Bewaffnung der Nachtigall«

  • Ralph Grüneberger
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach einer Farce von einem Vorspiel, bei dem kein Akkord zu hören war, sondern lediglich die Songtexte nach ihrem ideologischen Befinden befragt wurden, entzog die Kulturabteilung des Rates des Bezirks Leipzig der Klaus-Renft-Combo die Spielerlaubnis: »Mit Wirkung vom 22. September 1975 gilt die Tanzmusikformation […] als aufgelöst« hieß das im offiziellen Sprachgebrauch. Und in der Tat war dies der Anfang von einem Ende, für das die Wirklichkeit so viele Facetten bereithalten sollte. Sicher bestand die Band nicht unbedingt aus Verfechtern der »sozialistischen Moral & Ethik«, sondern wurde in üblicher Trunkenheit, wie es Klaus Jentzsch kurz vor seinem Tode 2006 in einem Interview kolportierend zum besten gab, nicht selten von den Kabeln an den Instrumenten auf der Bühne gehalten.

In den postum veröffentlichten Tagebüchern des Musikers, der den E-Bass zupfte, für die Band den Geburtsnamen seiner Mutter wählte und ihn seither als Musiker auch selbst trug, wird die praktizierte Kulturpolitik der beiden deutschen Staaten erlebbar. Hieß es anfangs im Osten von Funktionärsseite »Das wollen unsere Menschen nicht«, kam im Westen schnell der Modus auf »Das kauft kein Mensch«. Jentzsch hatte 1976 - in der Hoffnung auf eine neue Perspektive - als frischgetrauter Ehemann einer Griechin die Ausreise beantragt und auch schnell genehmigt bekommen. Freiheit, das erfuhr Klaus Jentzsch in Westberlin schnell, ist relativ.

Es ist viel Beschämendes in diesen Aufzeichnungen zu finden. Oft wird Klaus Jentzsch, der bei allem zupackt, zu und für alles seinen Kopf hinhält, die Rolle des nützlichen Idioten zuteil. Es ist dem Erscheinen dieser Tagebücher zu verdanken, dass Schwarz auf Weiß zu lesen ist, dass er alles andere war. Ein Grübler, ein Mensch mit poetischen und philosophischen Ambitionen. Ja, auch weise erscheint er dem Leser mitunter, aber vor allem gutmütig, ausdauernd, vergebend und arglos. Dass es ein Jahr vor der Ausbürgerung Wolf Biermanns keinen Aufschrei unter den Musikern des Landes gegeben hat, die populären Ost-Bands sich vielmehr einen größeren Einfluss auf das Plattenlabel Amiga, auf Funk und Fernsehen sowie auf den Tourneeplan der Konzert- und Gastspieldirektion versprachen, zeugt von einem moralischen Dilemma. Im Gutmenschen-Staat DDR herrschte durchaus Konkurrenz.

Wie durchorganisiert die berlingesteuerte Republik war, zeigt sich auch daran, dass das System 1975 in kürzester Zeit das Liedgut der Klaus-Renft-Combo aus den Plattenläden und Sendern zu verbannen vermochte. »Apfeltraum«, »Wer die Rose ehrt«, »Irgendwann werd ich mal«, »So starb auch Neruda«, »Zwischen Liebe und Zorn«, »Cäsars Blues«, »Gänselieschen« und so viele mehr verschwanden aus den legalen Lautsprechern, bis sich mit einem Teil der Band die Gruppe als »Karussell« drehte.

Die Zeitspanne der Tagebücher umfasst dreißig Jahre. Während die Studenten in Westberlin und Westdeutschland rebellierten, war im Osten das Jahr 1968 vom Einmarsch der sowjetischen und sowjethörigen Truppen in Prag geprägt. In Leipzig wurde wenige Wochen zuvor die intakte Universitätskirche gesprengt. Bis in den inneren Zirkel der Band führte das Ministerium für Staatssicherheit seine seit 1966 forcierte »politisch-operative Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion […] unter jugendlichen Personenkreisen in der DDR«.

Dass allzu oft Rechthaberei, Missgunst und Kleingeist den nach 1990 wiederbelebten Bandalltag dominierten, gehört zum menschlichen Part einer Musiklegende. Und dass Zensur auch leistungssteigernd sein kann, gehört zur historischen Gerechtigkeit und lässt sich exemplarisch anhand des diffusen Renft-Stückes »Der Anfang aller Angst« aus dem Jahre 1973 demonstrieren. Aus ihm wurde mit der »Gelbe[n] Straßenbahnballade« ein völlig anderer, bei weitem besserer Song.

Der Leser dieser Tagebücher ist gut beraten, die Lektüre des Dokuments (das fast ein Kilo wiegt und eine bessere Gestaltung verdient hätte) immer mal wieder zu unterbrechen und die alten Renft-Songs aufzulegen, insbesondere den historischen Zusammenschnitt der »Raritäten aus den Jahren 1971 - 1975«, als die Renft-Combo den Wandel von der Leipziger Ausgabe des »Oktoberklubs« hin zur besten Band der DDR hörbar werden lässt. »Hol mich nach Norden / Hol mich fort oder ich flieh!«, das Lied ist eines der stärksten vom Rockpoeten Gerulf Pannach. Und auch der Bass klingt subversiv. Ein Spiel ohne jede Ahnung, dass dem Musiker vierzig Jahre nach der ersten Bandgründung das Bleiberecht in der Combo, die seinen Namen trug, streitig gemacht würde. Die Ursache dafür wusste er selbst zu benennen: seine Alleingänge, der Alkohol und der Machtkampf mit »Monster«, dem Leadsänger Thomas Schoppe.

Dass es Renft immer noch gibt, bei all dem, was der verdienten Platzierung der Deutsch-Rock-Band im Musikgeschäft hinderlich war, spricht für das Volksliedhafte vieler (alter) Songs und zeigt auch, dass die Verse von Klaus Jentsch, die das Buch bewahrt, selten für die Bühne gemacht sind.

Klaus Renft: Die Bewaffnung der Nachtigall, Tagebücher 1968 bis 1997, ausgewählt und herausgegeben von Undine Materni und Heike Stephan. Buschfunk, 240 S., brosch., 16,95 €.

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