Luther und die Verdauung

Von Iris Rapoport, Boston und Berlin, und Viola Berkling, Oschersleben

  • Lesedauer: 2 Min.

»Warum rülpset und furzet ihr nicht? Hat es euch nicht geschmacket?« Ob dieser Spruch zu Recht Martin Luther zugeschrieben wird, ist ungewiss. Und doch sagt er einiges über die Sitten jener Zeiten und die damalige Kost.

Kohl, Hülsenfrüchte und Zwiebeln waren es, die oft auf dem Speiseplan standen. Und diese Nahrungsmittel enthalten Kohlenhydrate, die nicht nur exotische Namen wie Rhamnose oder Stachyose tragen, sondern für den Menschen auch ziemlich schlecht verdaulich sind.

Verdauen, das bedeutet, die Nahrungsbestandteile in so kleine Bruchstücke zu spalten, dass sie im Dünndarm resorbiert werden können und im Körper keine allergischen Reaktionen mehr verursachen. Diese Aufspaltung erfolgt chemisch. Und zwar durch Hydrolyse, die Spaltung durch Reaktion mit Wasser.

Dabei denkt man zunächst natürlich vor allem an Fette, Eiweiße und Kohlenhydrate. Aber auch Nukleinsäuren und etliche Vitamine werden verdaut. Doch da die Nahrungsbestandteile im Verdauungstrakt sich bestenfalls lösen, aber kaum von allein in ihre Bestandteile zerlegen, muss die Hydrolyse katalytisch beschleunigt werden. Genau das erledigen die Verdauungsenzyme, die sich in Mund, Magen und vor allem im Dünndarm befinden. Dazu binden die Enzyme jeweils einen Nahrungsbestandteil und ein Molekül Wasser.

Das geschieht exakt so, dass das Wasser leicht angreifen kann. Da Fette, Eiweiße und Kohlenhydrate aus sehr unterschiedlichen Bausteinen bestehen, ist eine breite Palette von Verdauungsenzymen vonnöten. Wobei uns die Evolution großzügig bedacht hat, denn innerhalb einer Nährstoffart sind die Enzyme recht unspezifisch und akzeptieren die verschiedensten tierischen und pflanzlichen Stoffe.

Aber eben nicht alle. Hervorzuheben sind jene unverdaulichen Kohlenhydrate, die, in ihrer Bedeutung zunächst völlig verkannt, als Ballaststoffe bezeichnet wurden. Meist pflanzlichen Ursprungs, unterscheidet man diese chemisch sehr unterschiedlichen Nahrungsbestandteile in unlösliche und lösliche Ballaststoffe.

Unlösliche, wie Zellulose, scheiden wir chemisch unverändert aus. Doch viele lösliche Ballaststoffe, wie die Pektine von Bohnen und Äpfeln, die auch die eingangs genannten seltenen Zucker enthalten, werden in tieferen Darmabschnitten von den dort lebenden Bakterien abgebaut. Das tun die Bakterien zu ihrem genauso wie zu unserem Nutzen. Denn dabei entstehen kurzkettige Fettsäuren, die zwar nicht mehr in unseren Körper gelangen, aber den Schleimhautzellen des Dickdarms als Nährstoffe dienen. Nebenbei bilden sich auch erhebliche Mengen verschiedener Gase. Zu Luthers ballaststoffreichen Zeiten waren die unvermeidbaren Folgen davon sicher allgegenwärtig. So galt damals eben als Tugend, was heute so manchen in arge Nöte bringt.

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