Aus für Drogen und Rock’n’Roll

Mit der »Neuen Heimat«-Schließung geht es den ersten RAW-Veranstaltern an den Kragen

  • Josephine Schulz
  • Lesedauer: 4 Min.
Einlasskontrollen oder Videokameras haben mit dem ursprünglichen Gedanken des RAW nichts mehr zu tun, meint die Initiative RAW-Kulturensemble. Und warnt eindringlich vor falscher Panikmache.

Von der alternativen Kunst-und Partymeile zur No-Go-Area. Das Image des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerkes (RAW) hat in den letzten Wochen ziemlich gelitten. Nahezu im Wochentakt gab es Meldungen über Diebstähle und Angriffe in der Revaler Straße. In den sozialen Netzwerken häufen sich Warnungen vor Alleingängen auf dem RAW-Gelände.

Dort allerdings ist von Panik wenig zu merken. »Ich habe mich hier noch nie unsicher gefühlt«, sagt eine Berliner Abiturientin gegen drei Uhr morgens vor dem Cassiopeia-Club. Die zahlreichen Touristen haben von der ganzen Diskussion ohnehin nichts mitbekommen. Sie fotografieren sich vor den graffitibesprühten Wänden, und finden die Gegend einfach nur »great« (großartig).

Für Christoph Casper von der Initiative RAW-Kulturensemble ist Panikmache der völlig falsche Weg. »Die Probleme gibt es ja nicht erst seit zwei Wochen.« Man müsse eine Lösung finden, die auch Eigentümer und Nutzer in die Pflicht nimmt, mehr Verantwortung für das Gelände zu übernehmen. »Eine Law-and-Order-Politik bringt da nichts.«

Aber: Der Wahlkampf in Berlin ist längst im Gange und so müssen Lösungen her, die auffallen. »Was wir brauchen, ist sichtbare Polizeipräsenz«, sagt der Abgeordnete Sven Heinemann (SPD). Taschendiebe haben ihm zufolge das Gebiet für sich entdeckt, weil dort schon seit Jahren Dealer ungestört umherlaufen können. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat zunächst alte Straßenlampen gegen hellere ausgetauscht. Zusätzlich soll der Erdstreifen zwischen Gehweg und Mauer gepflastert werden, damit dort niemand etwas verstecken kann. Die Eigentümer haben sich außerdem bereit erklärt, Videoüberwachung einzurichten, so Heinemann. Die Polizei dementierte einen Bericht des Nachrichtenmagazins »Der Spiegel«, wonach Livebilder direkt zur Polizei übertragen werden sollen. Das sei rechtlich nicht möglich.

Der CDU-Politiker Kurt Wansner meint: »In diesem Gebiet hätte man viel früher eingreifen müssen, genauso wie am Görlitzer Park.« Für ihn ist klar: Der Bezirk hat versagt. »Die haben sich nie um irgendwelche Probleme vor Ort gekümmert.«

Christoph Casper hält nichts von Einlasskontrollen oder Videokameras. Das bedeute Überwachung und Menschen ausschließen. Mit dem ursprünglichen Gedanken des Ortes - nämlich Integration und Partizipation - habe das dann nichts mehr zu tun. Caspers Initiative will die soziokulturellen Angebote im RAW erhalten und stärken. »Die Eventnutzung hat eindeutig überhand genommen. Das zieht natürlich auch solche Probleme an«, sagt Casper.

Was langfristig auf dem Gelände passieren soll, steht in den Sternen. Im April hatte ein neuer Eigentümer, die Kurth Immobilien GmbH, vage Zukunftspläne vorgestellt. Kurth senior und sein Sohn wollen sanieren, alternative Kultur aber dennoch erhalten. Bürger und Kulturschaffende sollen in den Planungsprozess eingebunden werden.

Nur leere Worte oder endlich ein Eigentümer, der es mit Partizipation und dem Erhalt von Freiräumen ernst meint? »Das wird erst der Prozess zeigen, wie partizipativ der dann wirklich abläuft«, sagt Casper. Ein erstes Opfer haben die Wandlungsprozesse auf dem RAW-Gelände schon gefordert. Die »Neue Heimat« machte am Montag ihre Pforten dicht. Dem Veranstaltungsort war vom Bezirk die Genehmigung für den Ausbau einer Food- und Musikhalle verweigert worden. In der vergangenen Woche hieß es zuerst, der Club müsse wegen nicht eingehaltener Brandschutzvorschriften geschlossen werden. Dann gab der Bezirk eine Schonfrist bis November bekannt. Und nun doch: Aus und vorbei. »Ein Aufschub ist für uns keine Lösung«, erklären die Betreiber. Für den geplanten Ausbau seien die Investoren abgesprungen. »Der Bezirk verweigert die Genehmigung mit der Begründung, dass die ›Neue Heimat‹ nicht auf das RAW-Gelände passt.«, Man habe angeblich eine »negative Vorbildwirkung«.

Den ersten Veranstaltern auf dem RAW-Gelände geht es nun offenbar an den Kragen. Schluss mit Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll im Herzen von Berlin. In der »Neuen Heimat« gab es neben Konzerten wöchentlich einen Lebensmittelmarkt. Am Sonntag standen Hunderte Menschen Schlange, und nahmen bei ihrem vorerst letzten »Organic Smoothie« Abschied.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal