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Am Pult ein Diplomat

Gergijew in München

  • Lesedauer: 2 Min.

An diesem Donnerstag gibt der russische Dirigent Waleri Gergijew mit Gustav Mahlers monumentaler »Auferstehungssymphonie« sein Einstandkonzert als Chef der Münchner Philharmoniker. Gergijew, der wegen seiner Nähe zum russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin im Vorfeld wiederholt kritisiert worden war, tritt sein Amt mit großen Ambitionen an: In seiner ersten Münchner Saison leitet er allein zwölf Konzertprogramme. Schon in den ersten zehn Tagen steht er in sechs Konzerten mit drei unterschiedlichen Programmen am Pult seines neuen Orchesters. Mit dem Eröffnungskonzert ihrer neuen Saison wollen die Philharmoniker ein konkretes Zeichen für Flüchtlinge setzen und zu Spenden aufrufen. Im Oktober gibt es erstmals das von Gergijew initiierte Festival »MPHIL 360 Grad«. Es soll zeigen, wie eng die deutsche und die russische Musikkultur miteinander verbunden sind.

Gergijew, dem gerade die Vermittlung der russischen Musiktradition ein großes Anliegen ist, nimmt - freiwillig oder nicht - am Pult mit den Mitteln der Kunst die Rolle des Diplomaten ein. Gleichzeitig scheut er weiterhin nicht vor klaren politischen Statements zurück. Zuletzt hatte er im März in einem Radiointerview Kritik an der Nahost-Politik der USA geäußert und Barak Obama für die Erfolge des Islamischen Staates mitverantwortlich gemacht. Vor zwei Jahren habe Obama sich falsch entschieden, als er nicht, wie von Putin empfohlen, den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad unterstützte. »Es tut mir leid, wenn ich das sage«, so Gergijew weiter, »aber es ist nicht immer Russland, das die falschen Entscheidungen trifft. Es ist vielleicht häufiger nicht Russland das Land, das ein falsches Urteil fällt.«

Putin hatte dem Dirigenten für »besondere Arbeitsleistungen vor dem Staat und dem Volk« im Mai 2013 den Titel »Held der Arbeit der Russischen Föderation« verliehen. Gergijew ist neben seiner neuen Tätigkeit in München weiterhin Intendant des Mariinski-Theaters in Sankt Petersburg, Chefdirigent des London Symphony Orchestra - und des World Peace Orchestra.

Die Münchner Philharmoniker scheinen sich ohne Vorbehalte in die Zusammenarbeit mit ihrem neuen Chef zu stürzen. Orchestervorstand Stephan Haack wurde kürzlich mit dem Satz zitiert: »Er ist einfach eine Type; es macht Spaß, mit ihm zu reden und zu diskutieren.« Und Intendant Paul Müller betonte den Wert des Dialogs, auch außerhalb des Konzertsaals, auch über ideologische Barrieren hinweg: »Die schlechteste Version ist dann erreicht, wenn Menschen und Nationen nicht mehr miteinander reden.« mha mit Agenturen

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