nd-aktuell.de / 18.09.2015 / Kommentare

Auf eine politische Lösung in Syrien drängen

Sevim Dagdelen über die Forderung nach der Einführung einer Flugverbotszone, die Rolle der Türkei und deutschen Rufen nach einem Kriegseinsatz

Sevim Dagdelen

»Deutsche an die Front«, so könnte man die jüngsten Forderungen des Leiters der Münchener Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger auch übersetzen. »Unsere Strategie in der Syrien-Krise ist nur dann glaubwürdig, wenn sie mit glaubwürdigen militärischen Handlungsoptionen unterlegt ist«, so Ischinger. Die Bundeswehr solle sich auch an der Einrichtung einer so genannten Flugverbotszone in Syrien beteiligen; angeblich als Schutzzone für Flüchtlinge. Doch diese flüchten aus Syrien weniger vor Luftangriffen der Bürgerkriegsparteien; zumal nur die syrische Regierung eine Luftwaffe besitzt. Eine Flugverbotszone, so wie sie auch der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan immer wieder einfordert, würde sich daher ausschließlich gegen die syrischen Streitkräfte richten und damit die islamistischen Terrororganisationen des IS, der Al-Kaida und der Ahrar al-Sham, die große Teile Syriens kontrollieren, massiv stärken.

In diesem Sinne ist Bekämpfung der syrischen Selbstverteidigungskräfte wie der PKK durch Erdogan doppelt katastrophal: Denn gerade aus den kurdischen Gebieten im Norden Syriens, Bollwerke gegen den Terror von IS und Al-Kaida, suchen immer mehr Menschen Zuflucht in Europa. So wie die Familie des ertrunkenen Jungens Aylan Kurdi aus dem vom IS angegriffenen Kobane im Norden Syriens.

Nicht zuletzt Erdogans Unterstützung für islamistische Terrorgruppen hat zur weiteren dramatischen Zuspitzung der Situation geführt. Der IS steht vor den Großstädten Damaskus und Homs. Andere islamistische Terrormilizen wie die Al-Kaida vor Hama und in Aleppo im Norden Syriens. Wer sich von einer Niederlage der syrischen Regierungstruppen vor Damaskus eine demokratische Revolution erträumt, läuft Gefahr, in einem neuen religiös verbrämten Faschismus des IS aufzuwachen. Denn der IS verletzt nicht nur in großen Stil Menschenrechte, sondern zielt auf die Vernichtung und Versklavung ganzer Bevölkerungsgruppen wie der ezidischen und der kurdischen sowie von Drusen, Alawiten, Christen und Schiiten. Und das nicht allein im Irak und in Syrien, sondern inzwischen auch in Libyen und zunehmend in der Türkei. Lange hat der türkische Staatspräsident den islamistischen Terror des IS unterstützt. Nun, nach dem er diesen angeblich bekämpft, rückt der IS immer weiter vor.

Sollte der IS je Damaskus, Beirut oder Bagdad erreichen, werden nicht nur Hundertausende Flüchtlinge, sondern Millionen Menschen versuchen, sich in Europa in Sicherheit zu bringen. Dies scheint auch die Bundesregierung langsam zu begreifen. Während Scharfmacher wie Ischinger oder der CDU-Außenpolitiker Kiesewetter mit den Forderungen nach einem militärischen Engagement Deutschlands und mehr deutscher Militärhilfe auf eine Ausweitung des Krieges setzen, scheint sich bei der Bundesregierung die Erkenntnis durchzusetzen, dass es nur eine politische Lösung ohne Vorbedingungen gibt. Dazu werden, nach dem lange auf ein Sturz des syrischen Präsidenten hingewirkt wurde, jetzt auch politische Gespräche mit Assad nicht mehr ausgeschlossen. Tatsächlich weisen derzeit alle Umfragen westlicher Institute daraufhin, dass Assad weiterhin über einen großen Rückhalt in der syrischen Bevölkerung verfügt. Kein Wunder. Neben den kurdischen Selbstverteidigungskräften im Norden Syriens gilt er der syrischen Bevölkerung offenbar als einziger Garant, dem islamistischen Terror zu begegnen.

Steinmeier will nun mit Assad reden und endlich auch den Iran und Russland an einer Verhandlungslösung beteiligen. Bis vor kurzem wurden Linke von Neokonservativen für derartige Denkansätze als Assad-Freunde denunziert, die solidarisch mit dem »Schlächter« seien. Bei Steinmeier ist es bisher still geblieben.

Für viele Menschen in Syrien kommt die Wende der Bundesregierung zu spät. Denn bereits 2012 wäre eine Verhandlungslösung möglich gewesen als der russische UN-Botschafters Witali Tschurkin den westlichen Staaten vorschlug, der syrischen Opposition keine Waffen zu geben, sondern einen Dialog zwischen ihnen und dem Präsidenten Assad herzustellen und zugleich einen eleganten Weg für einen Rücktritt von Assad zu finden. Leider ohne Resonanz. Die deutsche Außenpolitik muss endlich begreifen, dass es jetzt keine Lösung ohne Assad geben wird und klare Signale senden. Als erster Schritt sollten die 2012 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen mit Syrien wieder aufgenommen und die Sanktionen, die nur die Bevölkerung treffen und damit dem IS helfen, beendet werden.