Giftgas aus dem Abblasrohr

Warum gibt es in Rodewald so viele Leukämiefälle?

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Nichts Böses befürchteten Bürgerinnen und Bürger der kleinen Gemeinde Rodewald im niedersächsischen Kreis Nienburg von einem nahe gelegenen Betriebsgelände der Erdölfirma BEB, schon gar nicht von einem Rohr dortselbst. Doch aus ihm sind womöglich jahrelang gefährliche Gase abgeblasen worden, die den Blutkrebs ins Dorf brachten. Das haben Recherchen des NDR-Magazins »Markt« ergeben.

Danach sind im Verlauf von zehn Jahren fünf Menschen, die unweit des ehemaligen BEB-Platzes lebten oder noch leben, an Leukämie erkrankt. Das ist auffallend viel für einen Ort mit nur 2600 Einwohnern, wissen Experten. Maximal einen Blutkrebsfall hätte es dort in jenem Zeitraum statistisch gesehen geben dürfen, so haben die Fernsehleute aus den Reihen des Landesgesundheitsamtes erfahren.

In Rodewald, etwa 40 Kilometer nordwestlich von Hannover gelegen, war von Anfang der 1950er Jahre bis 1995 Erdöl gefördert worden, insgesamt 3,4 Millionen Tonnen. Der geringe Ölpreis veranlasste die »BEB Erdgas und Erdöl GmbH« seinerzeit, die Arbeiten einzustellen. Zurück blieb ein Areal, das, wie sich später herausstellte, eine üble Hinterlassenschaft der Ölbohrer in sich barg.

»Die Grundwassermessgeräte schlagen Alarm«, meldete die örtliche Tagespresse, »Die Harke«, im August 2014 vom ehemaligen Bohrgelände. Es war inzwischen zur Pferdeweide umgestaltet worden, umgeben von Einfamilienhäusern. Zu viel umweltschädlicher Kohlenwasserstoff im Boden, so lautete die Diagnose. Für den Nachfolger der BEB-Gesellschaft, den US-amerikanischen Konzern Exxon Mobil, hieß dies: das 3,5 Hektar umfassende Areal vier Meter tief ausschachten, neu mit Sand verfüllen, bis zu 400 000 Kubikmeter Grundwasser reinigen. Noch bis Ende des laufenden Jahres dauern diese Arbeiten.

Neben dem Bohrgelände unterhielt die BEB seinerzeit in Rodewald eine Betriebsstätte, wo das Erdöl gereinigt und für den Abtransport vorbereitet wurde. Zu dieser Anlage gehörte auch das Abblasrohr. Aus ihm strömten Ölgase, darin enthalten: Benzol. Davon hätten einschlägigen Vorschriften zufolge höchstens fünf Milligramm pro Kubikmeter Luft in die Umgegend gelangen dürfen. Doch stattdessen entwichen dem Rohr bis zu 1890 Milligramm der Krebs erregenden Substanz pro Kubikmeter. Das hatte der TÜV 1988 dokumentiert.

Inwieweit das Gas für die Leukämiefälle im Ort verantwortlich ist, soll nun eine »Krebsclusteruntersuchung« durch das Landesgesundheitsamt klären. Mit Rodewald, so mahnt Kathrin Otte vom Gemeinnützigen Netzwerk für Umweltkranke (Genuk), habe Niedersachsen neben Bothel im Kreis Rotenburg einen zweiten »Verdachts-Hotspot«: einen Ort, in dem Gas- oder Öl gefördert wurde und in dem zugleich eine erhöhte Zahl von Blutkrebsfällen auffällt.

Im Raum der Samtgemeinde Bothel, wo Exxon Erdgas gewinnt, besteht der Verdacht, dass dabei austretendes Benzol und Quecksilber die Krebshäufigkeit gefördert haben.

Exxon Mobil hat gegenüber dem NDR reagiert: Man möge doch bedenken, dass auch andere Faktoren für die Krankheitsfälle in Frage kämen. Beispielsweise Verkehr, Rauchen, Pestizide, Strahlung oder Alkohol.

Volker Bajus, umweltpolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, erklärte am Montag zu Rodewald: »Wir erwarten, dass Exxon die Aufklärung unterstützt und Verantwortung übernimmt, auch für mögliche Gesundheitsschäden in Folge der Altlasten.«

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