Politischer Prozess mit politischem Urteil

Ein linker Aktivist wurde wegen seiner Äußerungen im »nd« von einem Berliner Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.
Darf man heute einen Brandanschlag von vor 20 Jahren als »Superaktion« bezeichnen? Nein, urteilt das Berliner Amtsgericht und brummt einem Interviewpartner des »nd« eine Geldstrafe auf.

Am Anfang stand das Wort, ein Satz, ein Gedanke, formuliert von Bernd Langer, Antifa-Aktivist, Alt-Autonomer, Künstler, Buchautor in einem Interview mit dem »neuen deutschland« am 1. November 2014, in dem er und Roger Ottenheimer, ebenfalls aus der bundesdeutschen Antifa-Szene, zurückblicken auf die autonome Bewegung der 80er Jahre. Gelesen hat dieses nd-Interview auch der ehemalige Generalbundesanwalt Alexander von Stahl, der sofort einen Strafantrag stellte. Die Berliner Staatsanwaltschaft folgte treu dem einstigen obersten bundesdeutschen Ankläger und verschickte an Langer einen Strafbefehl über 3000 Euro. Er habe eine rechtswidrige Tat öffentlich gebilligt, in einer Weise, die geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören. Da sich Langer weigerte, dem Befehl nachzukommen, wurde dem 55-Jährigen nun der Prozess gemacht.

Die längste Zeit des gerade einstündigen Prozesses nahm das Verlesen des nd-Interviews durch den Amtsrichter in Anspruch. Fragen der Staatsanwältin, des Richters oder geladene Zeugen gab es nicht, und so wurde das Urteil bereits drei Minuten nach Ende der Beweisaufnahme verkündet. Wegen Billigung von Straftaten wurde Langer zu einer Geldstrafe von 480 Euro (60 Tagessätze zu 8 Euro) verurteilt.

Das nd-Gespräch der Antifa-Aktivisten enthält eine Passage, die von Stahl und der Staatsanwaltschaft als Beweis für eine strafbare Meinung dienen. Langer sprach über Aktionen in den 90er Jahren, nachdem die Antifa-Bewegung Ende der 80er Jahre versandet war: »Aber es gab auch später noch militante Aktionen, zum Beispiel ein koordinierter Anschlag gegen die ›Junge Freiheit‹ 1994. Wenn man das liest, wie das bei denen reingehauen hat - die konnten ihre Zeitung fast zumachen -, war das eine Superaktion gewesen.« Aus diesem einen Absatz, argwöhnt die Staatsanwaltschaft, könnten Leser aufgestachelt werden, Brandanschläge oder andere Straftaten zu begehen.

Dieser absurden Vorstellung widersprachen Verteidiger Sven Richwin und Bernd Langer vehement. Die Passage sei aus dem Zusammenhang gerissen, genauso hätte man andere Stellen zitieren können, in denen sich Langer kritisch mit gewalttätigen Aktionen auseinandersetzt. In seiner Erklärung ging Langer auf die Zeit ein, die er in dem Interview beschrieb. Für 1992 wurden im Verfassungsschutzbericht 17 Todesopfer durch rechtsradikale Gewalttäter aufgeführt, 1993 waren es 20 Tötungsdelikte. Die »Junge Freiheit« spielte damals eine recht unrühmliche Rolle bei der Aufstachelung rechtsextremer Straftäter und fand deshalb auch im Verfassungsschutzbericht seine Würdigung. Nur in diesem Kontext ist jene Passage zu verstehen, die 20 Jahre später zu einer Anklage reichte.

Der Anwalt, der damals das rechte Blatt gegen die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht vertrat, war Alexander von Stahl. Der Brandanschlag auf ein Weimarer Druckhaus am 4. Dezember 1994 - und nicht etwa auf die in Berlin ansässige Redaktion der »Jungen Freiheit« - wurde nie aufgeklärt, die Tat ist inzwischen verjährt. Stattdessen wurde nun ein Mann verurteilt, der sich mit dem Teil der deutschen Geschichte aktiv auseinandersetzt. In seiner Erklärung betonte Langer: »Die Parole ›Der Kampf geht weiter‹, die in diesem Falle nicht anders als ›Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!‹ zu verstehen ist, wird in einen militanten Aufruf umgedeutet, der aber in diesem Zusammenhang gar nicht gemeint sein kann.« Für ihn ist es ein politischer Prozess, der sich gegen die Pressefreiheit richtet.

Doch für den Amtsrichter zählten all diese Argument nicht. Auch wenn der entsprechende Paragraf »recht schwammig« ist, wie er selbst erklärte, urteilte er zu Ungunsten des Beschuldigten. Und das Urteil stand offensichtlich schon vor Prozessbeginn fest, denn neue Informationen sind in dem Verfahren nicht hinzugekommen. Langer und sein Anwalt wollen dagegen Rechtsmittel einlegen.

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