Ökonomen: Kein Handlungsbedarf bei »kalter Progression«

IMK-Studie verweist auf »Überkompensation« in der Vergangenheit / Auch würden vor allem Haushalte mit höherem Einkommen profitieren

  • Lesedauer: 2 Min.

Berlin. Der Ruf nach einem Abbau der »kalten Progression« gehört zu den Standards der Debatte über finanzpolitische Reformen - eine steuerpolitische Notwendigkeit, die sich auf Gerechtigkeits-Argumente stützen kann, steckt aber nicht dahinter, wie nun eine Studie aus dem gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung zeigt. In der Vergangenheit habe es wiederholt Entlastungen bei der Einkommensteuer gegeben, die die Wirkungen der »kalten Progression« kompensiert und für die meisten Bürger sogar überkompensiert hätten, schreiben die Steuerexpertin Katja Rietzler und der Volkswirt Achim Truger von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht.

Bei der so genannten kalten Progression handelt es sich um das inflationsbedingte Hineinwachsens der Steuerpflichtigen in eine höhere Progressionszone, ohne dass ihr Realeinkommen entsprechend gestiegen wäre, was zu einer realen Höherbelastung führt. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte mehrfach einen Abbau der »kalten Progression« angekündigt. Auch die SPD und die Gewerkschaften sowie streben dies an.

Die Forscher machen nun aber geltend, dass »gerade bei den aktuell zu beobachtenden geringen Inflationsraten« der Effekt der so genannten kalten Progression »sehr gering« sei - er liege für einen alleinstehenden Durchschnittsverdiener ohne Kinder »im Jahr 2016 bei unveränderter Gültigkeit des Tarifs aus dem Jahr 2014« kaum über sechs Euro monatlich. Zudem zeige sich »in längerfristiger Perspektive«, dass der Effekt seit 1991 durch zahlreiche Steuersenkungen beim Tarif wie bei der Bemessungsgrundlage für die meisten Steuerzahler »deutlich überkompensiert worden ist«. Die Forscher warnen zudem, von einem Abbau der kalten Progression würden »besonders auch Haushalte mit höherem Einkommen« profitieren.

Zugleich verweisen die Experten darauf, dass die Wirkungen der kalten Progression zwar für einzelne Steuerzahler gering seien, weil es von diesen aber viele gibt, »sind die Aufkommenseffekte für den Staat aber spürbar«: Allein die jüngst beschlossenen Anpassungen bei Grundfreibetrag und Tarif schlagen mit vier Milliarden Euro jährlich zu Buche. »Mit diesem Aufkommen könnten vorsichtig gerechnet dauerhaft über 80.000 Erzieherinnen zusätzlich eingestellt werden.« nd/mit Agenturen

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