Teufelskreis und Irrglaube

Auch die dritte Staffel von »Weissensee« wagt etwas Ungewöhnliches: Sie lässt Schauspieler von Format mitspielen

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.

»Weissensee« ist nicht nur die beste deutsche Serie unserer Zeit. Zum Start der letzten Staffel fällt auf: Es ist auch fast die einzige, der sich Schauspieler von Format zur Verfügung stellen, wie es in den USA längst üblich ist.

Es gibt Filmstars, die lassen den Pöbel schon beim Klang ihres Namens vor Ehrfurcht erzittern. Clive Owen etwa und Glenn Close, dazu Sam Neill, Halle Berry, Anthony Hopkins, von Jude Law, Patricia Arquette oder Matt Dillon ganz zu schweigen - globale Kinomarken wie Dollarhall, zu teuer fürs profane Fernsehen, einst unerreichbar. Und heute? Heute hält sich Hollywood längst nicht mehr kategorisch vom Bildschirm fern. Im Gegenteil. Jeder der Genannten war bereits Teil dessen, was hierzulande nach wie vor als Todesstoß seriöser Karrieren gilt: Serien.

Wenn deutsche Produzenten eine solche planen, wird es hingegen dünn auf der Besetzungsliste. Während US-amerikanische, britische, skandinavische Serien das Kino zügig als Projektionsfläche horizontaler Erzählung ablösen, führt das Serien-Genre bei uns ein Nischendasein zwischen Vorabendspaß und Hauptabendsülze. Da ist es schon einer Meldung wert, wenn Roberto Blanco in Folge 4650 von »Verbotene Liebe« auftritt. »Ich gebe immer 100 Prozent«, umschrieb das Schunkelfunkinventar seinen Einsatz und freute sich, »wenn die Leute zufrieden sind«.

Nur: Das sind sie nicht, weder mit Seifenopern noch richtigen Serien, was fatale Folgen für die Anziehungskraft auf echte Schauspieler hat. Umso bemerkenswerter ist, was dieser Tage geschieht: Nachdem das ZDF am vergangenen Wochenende keinen Geringeren als Jürgen Vogel zur Titelfigur des fortsetzungstauglichen Fünfteilers »Blochin« gemacht hat, geht nun das Beste, was Made in Germany momentan möglich ist, mit dem gewohnten Spitzenpersonal in die dritte Staffel: »Weissensee«. Diesmal zeitlich angesiedelt am Übergang von der alten DDR zur neuen BRD, bei dem es Florian Lukas, Anna Loos oder Ronald Zehrfeld wieder mit Jörg Hartmann als grandios diabolischem Stasi-Schergen zu tun kriegen. Großkaliber allesamt, von denen demnächst auch einige das gelungene RTL-Produkt »Deutschland 83« adeln, mit Jonas Nay als DDR-Doppelagent zwischen Ulrich Noeten und Maria Schrader.

Das ist ein Fortschritt, ohne Frage. Aber ein Strukturwandel? Dafür fehlen jene famosen Drehbücher, die Jude Law an der Seite von Diane Keaton Anfang 2016 zum »Young Pope« machen und Oscar-Gewinner Kevin Spacey in die vierte Staffel von »House of Cards« schicken. Was wiederum auf den inhaltlichen Engpass hiesiger Produkte verweist: Religion oder Politik sind Themen, für die deutschen Produzenten mit ihrer wahnhaften Fixierung auf Polizei und Zeitgeschichte bislang ebenso viel Fantasie fehlt wie für schwule Bestatter, dealende Lehrer oder coole Hacker, dem Topstar Christian Slater als »Mr. Robot« global gefeiert sein Gesicht leiht.

Wenn das nationale Schwergewicht Moritz Bleibtreu seins hingegen einer kreativeren Figur wie Ferdinand von Schirachs Anwalt in »Schuld« zur Verfügung stellt, dreht das ZDF ganze fünf Teile. Nicht sechs Staffeln, die eine Serie im Erfolgsfall leicht mal dauert. Doch so lang ist bei den verzagten Pragmatikern von ARD bis RTL kein Atem, sofern die Ware nicht »Cobra 11« oder »Dr. Kleist« heißt. Selbst fürs Polizeiformat »KDD« war 2009 trotz Topkritiken mit der dritten Staffel Schluss, nachdem der exzellente Cast bis in die Nebenrollen sein Quotenziel verfehlt hatte. Ein Schicksal, das Monate später auch Dominik Grafs Zehnteiler »Im Angesicht des Verbrechens« ereilte, dessen Finale mangels Publikum nachts versendet wurde. Nicht grad ein Anreiz für bekannte Mimen und Regisseure, das Wagnis Serie einzugehen, der man mehr Lebenszeit und Leidenschaft widmen muss als drei, vier Spielfilmen im Jahr.

Die staffelweise explodierenden Gagen anfangs unbekannter Darsteller bei »Big Bang Theorie« oder »Mad Men« belegen zwar die Sicht des Besetzungsbeauftragten Keli Lee vom US-Sender ABC, im Fernsehen gehe darum, »neue Stars zu schaffen«, die erst dann fürs Kino taugen; doch je dicker das Fernsehstück am fiktionalen Kuchen dank gedeihlicher Serien ist, desto mehr berühmte Sahnehauben können sich TV-Konditoren leisten. Nur in Deutschland gibt es dank einer Mixtur aus Inkompetenz, Feigheit, Quotendruck und Misserfolg Schonkost. Da »große Erzählkunst angeblich nur im Kino stattfindet«, meint Jürgen Vogel, »gehen viele Produzenten noch immer davon aus, große Namen für Serien gar nicht erst anfragen zu brauchen.«

Ein Teufelskreis. Und ein Irrglaube. Schließlich wären Schauspieler bei allzu großem Anspruchsdenken »rasch arbeitslos«, weshalb die Neigung zur Serie wächst. Vogel, schon bei »KDD« im Team, sagte das übrigens zum Start von »Blochin«, ein Fünfteiler mit viel Polizei, aber kaum Überraschungen, eher gedehnter »Tatort« als Emmy-Kandidat. So sieht sie aus, die triste, deutsche Serienwelt.

ARD, 29., 30.9., 1.10., jeweils 20.15 Uhr

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