Oberflächlichkeit mit System

Lügenpresse, Konzernmedien oder Warum die Medien an Vertrauen eingebüßt haben

  • Heiko Hilker
  • Lesedauer: 5 Min.

Am Begriff »Lügenpresse« kritisierte die Jury bei der Wahl zum Unwort des Jahres 2014, dass damit »Medien pauschal und ohne Unterschied diffamiert« werden. Die Nutzerinnen und Nutzer scheinen die Differenzen zwischen den etablierten Medien kaum noch wahrzunehmen, die klassischen Massenmedien scheinen auf sie »wie ein monolithischer Block zu wirken, der zu bestimmten Themen und Problemen eine Art von Einheitsmeinung verbreitet und Widersprüche nicht zulässt«, wie der Medienwissenschaftler Dieter Leder in seinem Buch »Verschwörungstheoretiker in der Wagenburg« feststellt.

Eine Frage ist also, ob bewusst falsch berichtet wird. Eine weitere Frage ist, ob die Einseitigkeit und Oberflächlichkeit nicht nur System hat, sondern auch im System liegt. Erstens gibt es Journalistinnen und Journalisten, die eine politische Agenda verfolgen, die Politik machen wollen und bereit sind, einseitig zu berichten. Die »Bild«-Zeitung ist da nur ein Beispiel. Es gibt zweitens Netzwerke bestehend aus Politikerinnen und Politikern, Journalistinnen und Journalisten und Unternehmerinnen und Unternehmern, die zielgerichtet die Öffentlichkeit beeinflussen wollen, um ihre Interessen zu befördern. Die Bilderberger, also jene informelle Gruppe von einflussreichen Personen aus Wirtschaft, Militär, Politik, Medien, Hochschulen und Adel, die sich jährlich trifft und über das, was in dieser Konferenz besprochen wurde, stillschweigen bewahrt, sind da nur ein Beispiel. Und es gibt drittens Journalistinnen und Journalisten, die aufgrund ihrer Denkhaltung in Netzwerke eingebunden werden und so Zugang zu Exklusivinformationen erhalten, die dann in die Berichterstattung einfließen. Uwe Krüger von der Universität Leipzig hat diese Mechanismen gut in seiner Promotion »Meinungsmacht« untersucht und beschrieben. Nicht zuletzt gibt es Beispiele für Rudeljournalismus, bei dem die Schwarmintelligenz, z.B. einer Gruppen von Hauptstadtjournalisten, versagt.

Doch die einseitige oder auch falsche Berichterstattung in einzelnen Medien kann nicht nur auf Netzwerke und Seilschaften abgeschoben werden. Dies wäre zu einfach. Nicht nur, weil einen dann sofort der Vorwurf treffen würde, ein »Verschwörungstheoretiker« zu sein (nur nebenbei: Oftmals sind Verschwörungen nichts weiter als Absprachen zwischen Interessengruppen zur Durchsetzung gemeinsamer Ziele; dies ist in der Politik durchaus üblich.) Es gibt weitere Gründe, die das Gefühl befördern, dass die Medien nicht die gesamte Vielfalt der Gesellschaft widerspiegeln.

Bilden die Journalistinnen und Journalisten nicht einen sozial weitgehend abgeschlossenen Kreis, wie der Kommunikationswissenschaftler Siegfried Weischenberg in einer Untersuchung festgestellt hat? Wie steht es um deren soziale Herkunft? Warum kommen Journalistinnen und Journalisten nicht aus allen gesellschaftlichen Schichten? Wenn bestimmte soziale Milieus vom Journalismus ausgeschlossen sind, dann fehlen auch bestimmte Sichtweisen, dann greift die Berichterstattung unter Umständen zu kurz.

Haben nicht einzelne Medien redaktionelle Leitlinien, in denen festgehalten ist, in welcher Art und Weise über Themen zu berichten ist? Wird gegen diese Richtlinien verstoßen, kann der Vorwurf der »Lügenpresse« eben auch entstehen, obwohl nicht gelogen, sondern Informationen nur ausgelassen bzw. weggelassen werden.

Stehen die Redaktionen nicht auch unter einem hohen, zumeist auch doppelten Druck? Müssen sie nicht schnell berichten, um hohe Quoten, Marktanteile und Reichweiten sowie hohe Umsätze und Renditen zu generieren? Die Zeit für Recherche nimmt dabei natürlich ab, die Einfallstore für PR-Agenturen werden größer.

Der Journalismus ist für viele Verlage und Sender zu einem reinen Geschäftsmodell, einer »Magd des Marktes« geworden. Dies verändert den Journalismus und dessen Standards - auch den der öffentlich-rechtlichen Sender. Wenn sich Konkurrenten verändern, muss man sich dem stellen.

Hinzu kommt, dass das Internet es viel mehr und viel einfacher als früher ermöglicht, sich selbst zu informieren, Fakten zu überprüfen. Damit reicht es nicht mehr aus, wenn Medien nur ein Abbild der zumeist inszenierten Ereignisse geben. Sie müssen in die Tiefe gehen, Kontexte bieten, breiter auf verschiedene Sichtweisen eingehen. Doch die Tagesschau ist immer noch - seit 60 Jahren - nur 15 Minuten lang.

Doch das Internet und die sozialen Netzwerke ermöglichen es nicht nur, sich selbst zu informieren, Fakten zu überprüfen, sondern sie können auch dafür sorgen, in der je eigenen Sicht gefangen zu bleiben, sich bestätigt zu fühlen in seiner Sicht und seiner Kritik an der Berichterstattung der Medien.

Hinzu kommt, dass es kaum noch eine qualifizierte Medienkritik in den Massenmedien gibt. Den etablierten Massenmedien fällt es schwer, auf Hinweise und Kritik der Nutzerinnen und Nutzer zu reagieren, mit ihnen zu kommunizieren. Für den Medienjournalisten Steffen Grimberg lautet die Kernfrage: »Waren die «alten», etablierten Kanäle wie Presse, Radio und Fernsehen also in gewissem Sinne - und bitte in Anführungsstrichen - schlicht ›asozial‹ - und sind sie es, da sie ja weiter existieren, am Ende immer noch? Auch wenn das wahrscheinlich keiner hören will: Die Antwort ist Ja! Denn ein soziales Miteinander zwischen klassischen medialen Akteuren - vulgo: Journalisten - und ihrem Publikum fand von Beginn an schlicht nicht statt (...) Die Rollenverteilung von Sendern und Empfängern war über rund anderthalb massenmedial vermittelte Jahrhunderte klar.«

Doch diese Rollenverteilung ist aufgebrochen. Journalismus und Medien stehen deshalb vor der neuen Aufgabe, unabhängige Berichterstattung, kritische Analyse und Aufklärung im sozialen Miteinander zu leisten und fundierte Medienkritik zu bieten. Allerdings wird das allein noch nicht reichen. Denn welche Unabhängigkeit, welche Freiheit können Medien haben, wenn die Informationen Warencharakter haben? »Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein«, so Karl Marx in der Rheinischen Zeitung (1842). Und weiter: »›Deine Freiheit ist nicht meine Freiheit‹, ruft die Presse dem Gewerbe zu. Wie du den Gesetzen deiner Sphäre, so will ich den Gesetzen meiner Sphäre gehorchen.«

Der Autor ist Leiter des Dresdner Instituts für Medienbildung (DIMBB) und Mitglied des MDR-Rundfunkrates. Sein Text ist eine Kurzfassung eines Vortrages, den er vergangene Woche auf dem Kongress »De-Fragmentierung« der Linken Medienakademie (LiMA) gehalten hat.

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