nd-aktuell.de / 02.10.2015 / Kultur / Seite 16

Denkwürdige Aufführung

In der Philharmonie dirigierte Kai-Uwe Jirka Mendelssohns Oratorium »Elias« grandios

Stefan Amzoll

Wahrlich, es bringt allerwertvollste Musik, dieses Großwerk »Elias« mit Solisten, Chor und Orchester des viel zu jung gestorbenen Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847), dieses musikalischen Nachfahren Händels und Bachs, deren Musik er früh in Augenschein nahm und aufführte, des Zeitgenossen Beethovens und Brahms’. Als Beethoven starb, war Mendelssohn 19 und 14, als Brahms geboren wurde. Ein Geniefall wie Georg Büchner, der vier Jahre älter war als er und zehn Jahre vor ihm gestorben ist.

Eine Musik so herben wie sensitiven Ausdrucks, vom Barock und der Romantik gleichermaßen geprägt. Humanes, emphatisches Begehren der Epoche und Bach-Händelsche Strenge der Form gehen darin symbiotisch zusammen und bilden ganz eigenartige Gestaltungen. Das Schöne, erschließt den Ohren sich das Werk: In »Elias« - es braucht längst nicht mehr den Kirchenraum - ist kein Funken Frömmigkeit zu spüren, wo doch der Gott droben fortdauernd im Gespräch ist. Mendelssohns Verhältnis zu den biblischen Stoffen ist zwar romantisch, jedoch antidogmatisch. Den jüdischen und den christlichen Teil denkt der jüdische Künstler aus gebildetem Hause zusammen. Darum, diese Musik ist zuinnerst den Idealen der Aufklärung zugetan.

Der Chor singt kurz vor Ende imitatorisch: »Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rats und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn.« Elias, der tiefgläubige Prophet, der eifernd Wunder vollbringt, der seinen Widersachern die Stirn bietet und dem Donner der zu zerreißen drohenden Welt trotzt, Elias ist der Held des Oratoriums. Weit ausschwingend im Schlusschor das »Amen«, das durch alle Stimmen geht. Keines, wie es die Zerknirschten, Bußfertigen singen, wohl aber ein monumentales, das an den ewigen Frieden zwischen Himmel und Erde gemahnt: »... wie herrlich ist dein Name in allen Landen ...«.

All dies bedenkend, oder auch nicht, wirkte die Aufführung in der Philharmonie ganz heutig. Als würde ein Konzertsaal der Menschheit philharmonisch sich kundgeben in einer von Abstürzen bedrohten Welt. Formell gedachte die Veranstaltung der 550 Jahre Staats- und Domchor Berlin. Ein Riesenaufgebot, kontinental geprägt, stellte der junge Kai-Uwe Jirka, amtierender Dirigent der Sing-Akademie Berlin, zusammen. Den besagten Domchor, zwei Knabenchöre, der eine aus Edinburgh, der andere aus Moskau, vier prominente Solisten und das renommierte Deutsche Symphonieorchester.

Es gelang eine phantastische Interpretation. Ausdrucksmäßig wie farblich hohen Gewinn erbrachte die Einbeziehung der englisch-russischen Knabengemeinschaft. Die Kinder, rechts und links postiert, schlugen sich prächtig. Über fast zwei Stunden weg »Elias« klar und rein, in largo, moderato, furioso und dazwischen changierenden Tempi zu singen, dabei die Stimme unter Kontrolle zu behalten und die Einsätze nicht zu verpassen - alle Achtung.

Im zweiten Teil fechten die Jungs Wechselgesänge mit übrigen Chorgruppen bravourös aus: »Fürchte dich nicht!«. Mit »Höre Israel, höre des Herrn Stimme!« eröffnet die erste Sopranstimme (Julia Giebel auch in der Rolle der Witwe und des Engels) diesen Teil des Werkes. Dramatische Responsorien entspinnen sich, singt die Königin (Hilke Andersen, Mezzosopran) »Hab ihr’s gehört, wie er geweissagt hat wider dieses Volk?«, und das aufgebrachte Volk, als wolle es Jesus ans Kreuz heften, antwortet: »Er muss sterben!« Ein Klima, das sein beinahe getreues Analogon in den Bachschen Passionen findet. Ganz deutlich in der Arie des Elias »Es ist genug!«. Sie will den »Es ist vollbracht!«-Duktus der Johannespassion nicht missen.

Tiefe Trauer drückt Tenor Benjamins Bruns als Obadjah im Rezitativ »Du Mann Gottes« aus, parallel laufende tiefe Streicher beschließen es seidenzart. Bisweilen schweigen die Instrumente kurzzeitig mitten in Vokalteilen und lassen etwa das »Himmel zerrissest« im Rezitativ Nr. 30, Teil 2 hineinplatzen. Ein kantables Wunder ist das Arioso des Elias, in dem es am Ende heißt »... der Bund deines Friedens soll nicht fallen.« In allem auf der Höhe vokalen Strebens Bassbariton Michael Nagy als Elias.

Gegen Schluss fahren Dreiklänge auf, wenn der Chor das »Und da der Herr ihn wollte gen Himmel holen ...« intoniert. Kurz davor siedelt das »Quartett mit Chor«. Es ist oben im Raum postiert und singt, als würde es mit einer entrückten Welt polyphon ins Gespräch treten. Ein Einfall von enormer Wirkung. Hohes Lob dem Dirigenten dieser grandiosen Aufführung Kai-Uwe Jirka. Mit Verve und höchstem Geschick hielt er den gesamten Korpus zusammen.