Tango und Sibelius

Usedomer Musikfestival

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.

Haben die Finnen den Tango erfunden, um Wölfe zu verjagen? Das meint zumindest der Filmregisseur Aki Kaurismäki. Beim Usedomer Musikfestival kann man finnische Musiker selbst fragen, was sie von der Legende halten. Noch bis zum 10. Oktober präsentiert die Konzertreihe eine Werkschau der vielfältigen finnischen Szene: von Kammermusik über Tango bis hin zu Neuer Musik. Intendant Thomas Hummel bezeichnet das nordische Land als »kleine Großmacht der Musik«.

Zum Auftakt stand eine Uraufführung im Kraftwerk Peenemünde auf dem Programm. Das Baltic Sea Youth Philharmonic brachte unter seinem Chef Kristjan Järvi das jazzig groovende »Green Concerto« von Severi Pyysalo zur Premiere, ein klingendes Statement für den Umweltschutz.

Vom Leben inmitten der Naturgewalten handelt bereits die Mythensammlung »Kalewala«, die für Finnland ein wichtiges Symbol nationaler Identität darstellt. Auch Jean Sibelius und sein Zeitgenosse Erkki Melartin illustrierten mit farbenreichen Charakterstücken die Geschichten aus dem Kalewala. Den 150. Geburtstag von Sibelius feiert das Festival mit einem Schwerpunkt. Auf Usedom vernimmt man dessen Musik besonders gern. Die herbe Küstenlandschaft öffnet das Herz für die Musik eines Naturfreundes, der im Wald für die Bäume und Vögel die Geige spielte und im Holzhaus am See lebte. Freilich soll nicht unter den Teppich gekehrt werden, dass die Sibelius-Verehrung in Finnland Züge des Heldenkults annimmt. Mit Adornos Einschätzung, dessen Musik sei anti-intellektuell und nicht auf der Höhe ihrer Zeit, setzt man sich dort kaum auseinander. Ebenso wenig mit der konservativen Haltung des Komponisten, der mit der politischen Rechten sympathisierte.

Um hier zu differenzieren, hat das Festival den finnischen Musikwissenschaftler Tomi Mäkelä eingeladen. Dessen Einschätzung: Sibelius sei zwar konservativ, aber nie reaktionär gewesen. Der Drang nach Ruhm hätte ihn jedoch zu einigen komponierten Banalitäten verleitet. Sibelius’ regelmäßige Berlin-Aufenthalte verdankten sich, so Mäkelä, nicht etwa einer Sympathie für den Nationalsozialismus. Der Komponist kehrte einfach gern an seinen einstigen Studienort zurück; zudem befand sich hier sein Verlag.

In einem Recital widmete sich die 24-jährige Pianistin Annika Treutler der Musik von Sibelius. Souverän und gelassen, mit sonniger Klarheit spielte sie dessen frühe Impromptus. In den späten Impressionen brachte sie durch ihre nuancenreiche Artikulation den jeweiligen Charakter auf den Punkt: die leuchtende C-Dur-Welt der »Dorfkirche« oder den wiegenden Schwung des »Ruderers«. Schließlich spielte Treutler die virtuosen Préludes des finnischen Spätromantikers Selim Palmgren; darunter ein impressionistisch flirrendes »Traumbild« und das gewaltig brausende »Meer«.

Zum Abschluss des finnischen Reigens erklingt am Samstag Tango mit »Guardia Nueva« aus Kokkola am Bottnischen Meerbusen. Das wird die Usedomer Wölfe sicher vertreiben.

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