Uns schlägt man nicht so leicht

Das deutsche Sitzvolleyball-Team wird überraschend EM-Zweiter - und freut sich nun auf die Paralympics

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Sitzvolleyball ist in Deutschland noch wenig bekannt. Worin unterscheidet es sich vom Volleyball?

Sitzvolleyball wurde in den Niederlanden erfunden und ist für behinderte und nicht-behinderte Menschen geeignet. Der einzige wesentliche Unterschied zum Volleyball besteht darin, dass die Angabe geblockt werden darf. Ansonsten gelten die üblichen Volleyballregeln.

Worin sehen Sie den besonderen Reiz dieses Sports?

Vor allem stellt er hohe technische Anforderungen an die Spieler. Sitzvolleyball ist die schnellste Ballsportart, die ich kenne. Das Feld ist zwar nur fünf mal sechs Meter groß; da wir aber sitzen, müssen wir sehr konditionsstark sein, um durchzuhalten. Man ist ständig in Bewegung und braucht eine erhebliche Reaktionsschnelligkeit.

Wie sind Sie zum Sitzvolleyball gekommen?

Vor 20 Jahren hatte ich als Wehrdienstleistender einen schweren Starkstromunfall. Wir haben damals Panzer auf einen Zug verladen. Ich sollte auf einen Panzer klettern und dabei ist der Funke von der Oberleitung übergesprungen - in meinen Kopf und an den Beinen wieder heraus. Mein linkes Bein war anschließend so stark verbrannt, dass es amputiert werden musste. Seit meinem zwölften Lebensjahr hatte ich in Koblenz in der ersten Bundesliga Faustball gespielt. Nach dem Unfall machte ich mit Prothese erst einmal weiter, bis ich in den paralympischen Sport wechselte. Vor fünf Jahren fragte mich dann der Bundestrainer, ob ich mir nicht vorstellen könnte, Sitzvolleyball zu spielen. Seitdem gehöre ich zur Nationalmannschaft.

Mit der Auswahl sind Sie sehr erfolgreich. Bei der Heim-EM in Warendorf wurde das Team am Mittwoch Zweiter. Wie fällt Ihre Turnierbilanz aus?

Wir sind überglücklich. Unser Endspielgegner Bosnien-Herzegowina ist Weltklasse, da war leider nicht viel zu holen. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir überhaupt so weit gekommen sind. In Deutschland gibt es keinen Ligabetrieb, sondern nur die Deutsche Meisterschaft. Das Spiel ist ein Hobby für uns, wir müssen regulär einem Beruf nachgehen. Das ist in manchen Ländern anders. Dass wir ohne Satzverlust bis ins Halbfinale gekommen sind, ist also überragend.

Im Halbfinale gegen Russland haben Sie es dann am Dienstag spannend gemacht. Sie lagen nach Sätzen zweimal zurück, im Tiebreak stand es 0:3, 5:9 und 12:13, bis Sie zum 15:13 kamen und damit das Spiel 3:2 gewannen. Warum war der Sieg ein solch hartes Stück Arbeit?

Wir mussten uns immer wieder ins Spiel zurückkämpfen, weil die Russen ihr Angriffsspiel gut aufziehen konnten. In den Pausen haben wir über die Angaben gesprochen, die wir konzentrierter angehen müssen. Zum Glück lief es dann besser und wir haben das Ding gewonnen, auch wenn wir das Herzschlagfinale gern vermieden hätten. Als besondere Motivation kam für uns hinzu, dass Russland das dritte Gruppenspiel gegen Lettland offenbar absichtlich mit 0:3 verloren hatte. Denn es war die schwächste Mannschaft der Gruppe, und dank der Pleite sind sie dem großen Favoriten Bosnien-Herzegowina aus dem Weg gegangen - und sie dachten wohl, gegen uns wäre der Finaleinzug leicht.

Das Finale erreichte stattdessen Ihre Mannschaft. Dadurch dürfen Sie an den Paralympischen Spielen teilnehmen. Fahren Sie 2016 als Medaillenfavorit nach Rio?

Nein, denn dort trifft sich die Weltspitze. Auch wenn wir bei den Paralympics 2012 in London noch Bronze holten und jetzt EM-Zweiter sind, ist es für uns auch diesmal wieder ein großer Erfolg, überhaupt unter den besten acht Mannschaften zu sein.

Warum sehen Sie sich mit den Topteams noch nicht auf Augenhöhe?

Bosnien-Herzegowina, Russland, Brasilien und Iran spielen auf einem sehr hohen Niveau. Die Bedingungen für Sitzvolleyball sind dort bisher weitaus besser als in Deutschland. In Iran gibt es beispielsweise drei Profiligen, die Spieler erhalten meines Wissens 50 000 Dollar pro Saison und werden in ihrer Heimat gefeiert wie Stars. Wenn wir da erneut mithalten wollen, werden wir immer auf den Punkt mental wie physisch topfit sein müssen. Aber wir werden uns optimal vorbereiten und natürlich motiviert auftreten. Unsere Entwicklung ist noch lange nicht beendet.

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