nd-aktuell.de / 09.10.2015 / Brandenburg / Seite 10

Das schwarze Cottbus will frei sein

Oberbürgermeister und konservative Stadtverordnete prinzipiell gegen eine Gebietsreform

Andreas Fritsche
Einen echten Bürgerdialog über die geplante Kommunalreform hat es am Mittwochabend im Cottbuser Radisson Blu Hotel nicht gegeben.

Um 15.15 Uhr stoppten in Cottbus für eine Minute alle Busse und Straßenbahnen. Per Durchsage wurden die Fahrgäste informiert, Grund für den kurzen Halt sei die vom Land Brandenburg geplante Kommunalreform, bei der Cottbus den Status einer kreisfreien Stadt verlieren solle. »Wir befürchten, dass dann auch die Straßenbahn ausgebremst wird, weil nicht mehr in der Stadt über sie entschieden wird«, ließ das städtische Unternehmen Cottbusverkehr GmbH seine Kunden wissen. Diese wurden aufgefordert, am folgenden Tag um 16.30 Uhr zur Protestkundgebung vor das Radisson Blu Hotel zu kommen. Der folgende Tag, das war der Mittwoch. Mehr als 100 Menschen versammelten sich um Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU), der eine Gebietsreform für Cottbus ablehnt.

Aus Brandenburg/Havel sind sie in einem Bus angereist - der Stadtverordneten Lutz Krakau (LINKE) gemeinsam mit Oberbürgermeisterin Dietlind Tiemann (CDU). »Parteiübergreifend« wehre man sich gegen die Einkreisung, sagt Krakau.

In Cottbus ist die Front nicht so geschlossen. Die hiesige LINKE will Vor- und Nachteile einer Einkreisung unvoreingenommen prüfen und schauen, was sich für die Bürger der Stadt in Verhandlungen mit dem Land herausschlagen lässt. Deshalb sitzt Linksfraktionschef André Kaun schon abwartend im Kreis junger Genossen im Pücklersaal des Radisson Blu Hotels, während die Protestkundgebung unten auf der Straßen von CDU und AfD dominiert wird. Diese Parteien haben je einen Stand aufgebaut. Die CDU verteilt Tüten, aber längst nicht jeder Passant lässt sich eine aufdrängen. Eingerahmt ist der Versammlungsort von Autoanhängern mit aufmontierten Plakaten. Zu den passenden Motiven steht dort jeweils: »Wir sind so frei ...« und dann »über unseren Branitzer Park selbst zu entscheiden« oder über »unsere Sportanlagen«, »unsere Straßenbahn«, »unser Planetarium«, »unser Carl-Thiem-Klinikum«, »unsere Theater und Museen.«

Es nieselt. Die Landtagsabgeordnete Martina Münch (SPD) hört zu. Sie hat einen Regenschirm aufgespannt. Andere, die keinen Schirm dabei haben, werden nass oder gehen lieber schon hinein ins Hotel, wo Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) und Finanzstaatssekretärin Daniela Trochowski (LINKE) die Reform ab 17 Uhr begründen und diskutieren werden. 400 Menschen fasst der Pücklersaal offiziell, doch 450 drängen sich hinein. Die Stühle reichen nicht aus. Viele müssen stehen, einige sogar vor der Tür.

Nachdem der Minister in Frankfurt (Oder) mit der Bemerkung für Aufregung sorgte, dass dort nicht einmal die Flüchtlinge bleiben möchten, flechtet er diesmal Schmeicheleien in seine Rede ein. Doch das nützt ihm nichts. Die Stimmung ist angeheizt.

Immerhin hören die Leute Schröter nach anfänglicher Unruhe erst einmal ruhig an, wofür er sich extra bedankt. Im Laufe des Abends stöhnen sie dann aber immer wieder laut und höhnisch »Ach« und »Ooch«. Es wird auch mal gepfiffen oder »Frechheit« gerufen, wenn eine Äußerung des Ministers oder der Staatssekretärin missfällt.

Schröter lobt vorsorglich, 63 Baugenehmigungen pro Vollzeitmitarbeiter im Jahr 2013, dass sei für die kleine, fleißige Bauverwaltung von Cottbus durchaus ein gutes Ergebnis. Aber große Bauverwaltungen wie die des Landkreises Oberhavel, die es auf 115 Genehmigungen brachte, seien nun einmal effektiver, versichert Schröter. Das sei doch lächerlich, schimpft der Stadtverordnete Joachim Käks (CDU). Die Situation in Oberhavel und Cottbus sei überhaupt nicht zu vergleichen. In Fahrt gerät Käks, der nach eigenem Bekunden gern in Cottbus lebt, als die Moderatorin des Abends von ihm wissen möchte, ob das denn nicht mehr so wäre, wenn die Stadt ihre Kreisfreiheit verliert. »Sie müssen mir keine Frage stellen«, weist Käks die Moderatorin verärgert zurecht. »Ich bin hier, um eine Frage zu stellen.«

Doch genau das ist das Problem. Die ersten Fünf aus dem Publikum, die sich zu Wort melden, sind allesamt Stadtverordnete. Sobald sie das Saalmikrofon in die Hand bekommen, halten sie Vorträge, statt konkret nachzufragen. Auf die Spitze treibt es AfD-Fraktionschefin Marianne Spring. Sie hat gar keine Frage, will einfach nur die ablehnende Position der AfD zur Einkreisung anbringen und beginnt zu diesem Zweck, aus einem Flyer der Partei vorzulesen. »Wir können selbst lesen«, rufen eine Frau dazwischen, um die Litanei zu beenden.

Der Minister stellt klar: Das Carl-Thiem-Klinikum werde Cottbus nicht weggenommen. »Eine Einkreisung ist keine Enteignung.« Für das Oberstufenzentrum sowie die Busse und Bahnen wäre nach einer Einkreisung der Landkreis zuständig. Doch mit dem Oberstufenzentrum wäre Cottbus nur die Kosten los. Über die Inhalte des Unterrichts entscheide jetzt schon das Bildungsministerium. Und die Verantwortung für den Nahverkehr könnte auf Antrag auch bei der Stadt bleiben. Gefahr droht dem Straßenbahnnetz dagegen durch die hohen Schulden der Stadt. Gebraucht werden mittelfristig neue Fahrzeuge und eine einzige Straßenbahn koste 2,5 Millionen Euro, weiß Linksfraktionschef Kaun. Das im Hinterkopf, klingt die vom Land verheißene 50-prozentige Teilentschuldung vielleicht verlockend.

Doch so rechnet Oberbürgermeister Kelch nicht. Er fragt vielmehr, ob die Haushaltsnot aufhört, wenn Cottbus eingekreist ist. Pro Kopf seien beispielsweise Eisenhüttenstadt und Döbern viel höher verschuldet. Nach Kelchs Darstellung könnten die Sparzwänge nach der Einkreisung sogar noch zunehmen.

Es taucht auch die Frage auf, warum jetzt eine überhastete Gebietsreform? Warum die Sache nicht fünf Jahre länger reifen lassen? Der Innenminister glaubt aber nicht, dass es zu schnell geht. Man nehme sich ja Zeit für die Diskussion. Zwei Termine des Bürgerdialogs gibt es noch. Am Montag wird im Haus Schwärzetal in Eberswalde debattiert und am Dienstag in der Rolandhalle von Perleberg.