Ausgebeutet und im Stich gelassen

Der Fall des Projektleiters Ralf Diesel zeigt, wie prekär die Bedingungen im Berliner Kultur- und Veranstaltungsbetrieb zum Teil offenbar sind

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.
Nicht nur im Kino Babylon gibt es Arbeitskonflikte: Mit einem Brief haben sich jetzt Beschäftigte des »Kühlhauses« an Kulturstaatssekretär Tim Renner gewandt. Der erklärte sich für nicht zuständig.

Die ausbleibenden Lohnzahlungen seines Arbeitgebers haben Ralf Diesel an den Rand des Ruins getrieben. »Ich konnte meine Miete nicht mehr zahlen und für meinen kleinen Sohn kein Essen und keine Windeln mehr kaufen«, sagt er. Diesel, der aus der Familie des berühmten Motorenentwicklers stammt, klagt derzeit vor dem Berliner Arbeitsgericht gegen die Kühlhaus Veranstaltungs GmbH. Der Vorwurf: Den Lohn für die Monate April bis Juni dieses Jahres sei das Unternehmen Diesel schuldig geblieben. Eine erste Güteverhandlung gab es bereits, eine Urteilsverkündung des Arbeitsgerichts steht indes noch aus. Während seiner mehr als einjährigen Tätigkeit, in der Diesel im Kühlhaus angestellt war, erlebte der »Projektleiter« nach eigener Aussage noch weitere Probleme: Löhne sollen etwa nach Bitten nur in Teilbeträgen bar ausgezahlt worden sein.

In ihrer Not haben sich Diesel und weitere Betroffene, Mitarbeiter, Ex-Mitarbeiter und Dienstleister des Kühlhauses, jüngst in einem offenen Brief an die Senatskulturverwaltung und deren Staatssekretär Tim Renner (SPD) gewandt. In dem Brief heißt es unter anderem: »Wir erwarten und erhoffen uns daher ein Einlenken seitens der Politik bzw. des Berliner Senats. Kultur kann und darf nicht zum Wohle Einzelner und zum Schaden Vieler stattfinden.«

Eine Antwort haben die Betroffenen aus Renners Büro erhalten: »Wenn auch die aktuelle Situation im Kühlhaus unschön sein mag, so handelt es sich doch soweit erkennbar um privatwirtschaftliche Beziehungen, in die - wie Sie sicher verstehen werden - Herr Renner sich nicht einschalten wird«, heißt es kurz und knapp aus Renners Büro. Dabei hat sich das denkmalgeschützte »Kühlhaus« auch früher öffentlich in den Medien als Kulturadresse inszeniert. Außerdem sagt Ralf Diesel, dass für einige Projekte Fördergelder bei verschiedenen Kulturfonds gestellt wurden: »Natürlich ist das Kultur, das darf aber nicht ausgenutzt werden.« Er und seine Mitstreiter wollen dem Kulturstaatssekretär deshalb noch einmal schreiben.

Die »Kühlhaus Berlin Veranstaltungs GmbH« weist die Vorwürfe aus dem Offenen Brief zurück. Über »Dritte« ist das Schreiben dem Unternehmen bekanntgeworden, sagt ein Mitglied der Geschäftsführung. Und: »Wir haben einen Anwalt eingeschaltet«. Mehr Informationen wollte der Zeichnungsberechtigte des Unternehmens mit dem Branchenfokus Messe, Ausstellungs- und Kongressveranstalter dem »nd« zunächst nicht auf die telefonische Nachfrage hin mitteilen.

Weltweit wird Berlin als Kunst- und Kulturstandort gefeiert. Die nationale und internationale Anziehungskraft geht nicht zuletzt auf die zahlreichen Veranstaltungen in den zahlreichen Kulturbetrieben, Galerien und Theatern zurück. Dass der gute Ruf teilweise aber auf Ausbeutung beruht und somit auf dem Rücken der prekär Beschäftigten erzielt wird, dürfte ein wichtiges Wahlkampfthema im kommenden Abgeordnetenhauswahlkampf 2016 werden.

Wie groß das Problem der prekären Arbeit in Berlin tatsächlich ist, zeigen Zahlen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Demnach nutzen inzwischen 80 Prozent der Betriebe in Berlin prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Insbesondere Frauen sind in Teilzeit beschäftigt oder arbeiten in Minijobs.

Mit der grassierenden Beschäftigung beschäftigten sich am Wochenende auch die Grünen auf ihrem Landesparteitag. »Es ist schlicht ungerecht, wie Menschen für gute Arbeit entlohnt werden«, sagt der Landesvorsitzende der Grünen, Daniel Wesener. Die Partei fordert deshalb beispielsweise für die Beschäftigten der freien Szene einen Mindestlohn. Beschämend ist auch, dass wie bei den Musiklehrern auch bei der öffentlichen Hand Menschen prekär beschäftigt sind.

Für die Linkspartei sind die Prekarisierten ebenfalls eine wichtige Zielgruppe. »Wir müssen Perspektiven für Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen schaffen«, sagt der Landesvorsitzende der Sozialisten, Klaus Lederer.

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