Ein Dorf singt sich wach

»Wie im Himmel« im Theater am Kurfürstendamm

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Da sei vieles schön, meint höflich der berühmte Dirigent Daniel Daréus zum Gesang des dörflichen Kirchenchors. Mit musikalischen Laien hatte er bisher nichts zu schaffen. Nun, durch Krankheit ins Private in die Provinz gezwungen, sieht er sich in dem schwedischen Dorf den eifrig bemühten wie gleichsam ihr Lied zerhackenden Sängern gegenüber. Auf ihr Drängen lässt er sich überreden, mit ihnen zu arbeiten. Die Musik, sagt er, sei schon da. Sie schwebe über allen in der Luft, am Himmel. Man müsse nur hinhören.

Von diesem Lernprozess und wie sich damit vieles im Ort Ljusåker verändert, erzählt die Inszenierung »Wie im Himmel« des Altonaer Theaters Hamburg, die in Zusammenarbeit mit dem Berliner Theater am Kurfürstendamm nach dem gleichnamigen Film von Kay Pollak entstand. Der Streifen wurde 2005 als beste nicht englischsprachige Produktion für den Oscar nominiert. Die Erwartung, der sich Regisseur Axel Schneider stellt, ist also hoch. Und er erfüllt sie mit den gut singenden Schauspielern unter der musikalischen Leitung von Igor Zeller, die auf der Bühne das Dorf repräsentieren.

Aufrüttelnd wirkt die Herangehensweise des heimgekehrten Dorfbewohners, der als Kind dort lebte und nicht nur gute Erinnerungen daran mit sich trägt. Während er das mit sich ausmacht, setzt er gleichzeitig Prozesse in Gang, die seine Landsleute aus der Schläfrigkeit holen. Bisher unter der Decke gehaltene Probleme wie körperliche und seelische Misshandlungen werden offengelegt. Es scheint, als holten die Dorfbewohner nach langer Zeit endlich mal wieder intensiv Luft.

Die daraus entstehende emotionale Kraft der Musik und des gemeinsamen Singens werden in dem Stück sehr gut dargestellt. Und ebenso die vom Pfarrer der heimischen Kirche ausgehende Starre. Dieser wirft dem Dirigenten angesichts seines Machtverlusts Manipulation vor. Die auf diese Weise dargestellte Kritik an der Kirche löste bei der Berliner Premiere Szenenapplaus aus.

Auch scheut sich Schneider nicht, die Rolle des im Film gut dargestellten geistig behinderten jungen Mannes Tore zu besetzen. Der wird am Kurfürstendamm von Tobias Kilian mit der Präzision, die solch eine Gratwanderung zwischen Tragik und Komik verlangt, gekonnt gespielt. Immer wieder stellt sich natürlich der Vergleich zum Film ein. Zahlreiche Örtlichkeiten in einem Bühnenbild zu zeigen, ist schwer. Das löst der Regisseur jedoch erfindungsreich. Er verzichtet auf Videoprojektionen, nutzt Lichteffekte und lässt - um den Verlauf der Geschehnisse darzustellen - sogar, die Ereignisse raffend, Szenen nebeneinander spielen.

Ohne Längen ist die samt Pause zweieinhalb Stunden dauernde und von Chorsängern unterstützte Produktion durchaus bewegend und gut anzusehen. Problematisch allein ist der Schluss. Der Dirigent, bis dahin überzeugend gespielt von Georg Münzel, stirbt, während seine Sängerinnen und Sänger bei einem internationalen Chortreffen auftrittsbereit auf ihn warten. Unter Schneiders Regie taumelt er plötzlich wie ein Zombie hervor.

Das kommt nicht gut an und muss auch nicht sein. Das mag am Berliner Gemüt liegen, könnte man einräumen. Es schien jedenfalls, als raube diese letzte Szene den Schauspielern einen beträchtlichen Teil des verdienten Applauses.

Bis 25.10., 20 Uhr, Theater am Kurfürstendamm, Kurfürstendamm 206, Charlottenburg, Tel.: (030) 88 59 11 88, www.komoedie-berlin.de

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