Lübeck: Flüchtlingsforum will notfalls Gebäude besetzen

Um eine menschenwürdige Versorgung und Verpflegung der Transitgeflüchteten in Lübeck sicherzustellen, fordern Flüchtlingshelfer geeignete städtische Räume. Die Hansestadt erteilte ihnen aber eine Absage.

Es ist unglaublich, was das Lübecker Flüchtlingsforum und seine Helfer seit über einem Monat leisten: Über 7000 Geflüchteten aus Syrien, Irak, Afghanistan und Eritrea haben sie mit Essen, Kleidung und Unterbringung versorgt und ihnen die gewünschte Weiterreise nach Schweden ermöglicht.

Jetzt, wo es kalt wird und weitere Räume für Flüchtlinge benötigt werden, bleibt die Unterstützung der Stadt Lübeck aus. Die Verantwortlichen der Stadt wissen, dass die derzeitige Situation in den Wintermonaten nicht tragbar ist. Aber die wochenlangen Verhandlungen haben zu keinem Ergebnis geführt. Die Stadt sehe keine Möglichkeit, weitere Räume zur Verfügung zu stellen, teilte sie dem Flüchtlingsforum am Donnerstagabend in einer Email mit.

Deshalb kündigen die Aktivisten nun an, zur Selbsthilfe zu greifen: Sie wollen am Samstag zwei fast ungenutzte Gebäude in Betrieb nehmen, um eine menschenwürdige Unterbringung der Geflüchteten zu ermöglichen. Lübecks SPD-Bürgermeister Bernd Saxe ist darüber not amused und beschwert sich in der Lokalpresse, dass die Aktivisten in den Häusern schon neue Fenster eingesetzt und das Dach repariert haben.

Dabei wäre die Stadt den zahlreichen Helfern aus allen Teilen der Bevölkerung zu Dank verpflichtet. Die Unterstützer übernehmen mit der Versorgung immerhin eine staatliche Aufgabe. Was sie seit mehreren Wochen ehrenamtlich auf die Beine stellen, ist ein leuchtendes Beispiel der Solidarität, das nach ganz Europa ausstrahlt: Das selbstverwaltete Zentrum auf der Wallhalbinsel »Walli« wurde zu einem Kommunikations- und Solidaritätszentrum. Es ist ein Anlaufpunkt für Flüchtlinge, die auf dem Weg nach Skandinavien in der Hansestadt Zwischenstation machen. Täglich versorgen die ehrenamtlichen Unterstützer 200 bis 300 Geflüchtete mit warmen Essen, Kleidung und Übernachtungsplätzen – und mit Fährtickets für die Überfahrt von Travemünde nach Schweden. Für die Tickets wurden bislang mehr als 250.000 Euro aufgewendet, wovon etwa die Hälfte aus Spendengeldern stammt. Ein Ende der Hilfe ist nicht absehbar, weswegen das Flüchtlingsforum weiterhin um Spenden bittet.

Die beiden Gebäude, die das Flüchtlingsforum in Kürze nutzen will, liegen in unmittelbarer Nachbarschaft des selbstverwalteten Zentrums »Walli« und gehören dem Grünflächenamt. Bevor die Aktivisten zum letzten Mittel der Besetzung greifen, versuchen sie bis zuletzt noch eine gemeinsame Lösung zu finden und hoffen auf Einsicht im Lübecker Rathaus, wie sie in einem offenen Brief an Bürgermeister und Senatoren schreiben.

Update Fr. 16.10.2015, 15:00 Uhr: Einladung zur Inbetriebnahme

Das Lübecker Flüchtlingsforum und der Trägerverein der »Walli«, alternative e.V.​, laden ein, am Samstag, den 17.10.2015 um 11 Uhr an den Häusern des Grünflächenamtes in der Willy-Brandt-Allee 9 zu erscheinen und Essen und Trinken mitzubringen.

Update Sa. 17.10.2015, 15:00 Uhr: Friedliche Einweihungsfeier

Am Samstagmorgen haben 150 Aktivisten, wie angekündigt, die Häuser des Grünflächenamtes symbolisch in Betrieb genommen und die Einweihung gefeiert. Sie wollen damit auf die Notlage aufmerksam machen. Alles sei »friedlich« und ohne Probleme verlaufen, teilten die Aktivisten mit. Sie hoffen weiterhin auf eine gemeinsame Lösung mit der Stadt. Diese zeigte bislang keine Reaktion.

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