Problemfall Junge?

Bildungsrauschen

  • Lena Tietgen
  • Lesedauer: 3 Min.

Jungs seien deshalb auffälliger und schlechter in der Schule, weil ihnen männliche Vorbilder fehlten und die Pädagogik zu feminin sei. So oder so ähnlich lauteten Antworten früherer Jahre auf den geringeren Schulerfolg der Jungen. 2011 zitierte taz.de einen Grundschullehrer: »Viele in der Schule gewünschte Verhaltensformen sind auf der weiblichen Seite angeordnet. Sich lange mit etwas zu beschäftigen, Gefühle zuzulassen, in der Runde was zu sagen: Das sind alles Anforderungen, die manche Jungs etwas nervös machen können.« Der Autor schlussfolgerte, es bräuchte männliche Pädagogen. Nur gebe es bei Männern Vorbehalte gegen diesen Beruf, denn die Grundschuldidaktik erfordere »persönliche Zuwendung und Herstellen emotionaler Nähe«. Und er setzte nach: »Die Debatte um sexuellen Missbrauch der letzten Jahre, die männliche Pädagogen manchmal pauschal mit Pädokriminellen in Verbindung brachte, schreckt zusätzlich ab.«

Trotz der in sich widersprüchlichen Aussage und der unzulässigen Verkürzung auf das Problem des sexuellen Missbrauchs an Schulen fand der Artikel damals Gehör. »Es gibt viele schlechte Lehrerinnen, die als Feministinnen die durchschnittlichen Knaben ihrem Schicksal lieblos überlassen und sich auf ihr Lerntempo und auf die soziale Hygiene des Lernumfeldes für Jungen zu wenig konzentrieren«, bestätigte in einem Leserkommentar Guntherkummerlande.

Schon damals mahnte jedoch der Wissenschaftler Marcel Helbig, es gebe keine wissenschaftlich tragfähige Erkenntnis einer solchen Zuordnung. Heute widerlegt seine Studie den geschlechtlichen Zusammenhang als Begründung für das schlechtere Abschneiden der Jungen.

Doch Vorurteile halten sich, wie der Kommentar des Lesers funga auf welt.de zeigt: »Lehrer können, zumindest im quadratischen Mittel, Objektivität und Fokussierung besser vermitteln, während Lehrerinnen eher auf Ganzheitlichkeit und emotionalen Bezug Wert legen. Ersteres ist wichtig für die Lebensbewältigung, letzteres für die sozialen Kompetenzen.« Oder kumiko auf tagesspiegel.de: »Es gibt eben auch Männer, die typisch weibliche Verhaltensweisen zeigen, das irritiert die Jungen und führt zu keiner Leistungsverbesserung. Wechselt ein Junge jedoch von einer frauendominierten Grundschule auf ein männerdominiertes Gymnasium, dann erwacht der Ehrgeiz, es entsteht Spaß am Lernen. Ich glaube, es ist falsch, die grundsätzlichen psychologischen Eigenheiten der weiblichen Psyche zu leugnen, Frauen sind nicht von Natur aus die besseren Menschen und sollten aufhören, Jungen ihre Denkweise aufzuzwingen.«

Dass vernetztes Lernen sowohl für Jungs als auch für Mädchen geeignet ist, zeigt Peter Struck auf jeetzeschule.de. Der Erziehungswissenschaftler plädiert für eine Ganztagsschule mit individuellen Lerneinheiten, in der auch nichtpädagogisches Personal wie Handwerker, Künstler oder Menschen anderer Berufe tätig sind. Zudem sei es so, dass Jungs eher durch Fehler und Mädchen eher durch Zuhören lernten. Beides müsse an einer Schule möglich sein. Lena Tietgen

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