Als Antifaschismus ein Jobkiller war

Wanderausstellung zu Radikalenerlass und Berufsverboten in Hannover

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Noch immer leiden viele Menschen unter dem »Radikalenerlass«, der jahrelang in der Bundesrepublik galt. An ihn und ähnliche Repressionen früherer Zeiten erinnert die Ausstellung »Berufsverbote«.

Eine Hungerrente von 550 Euro brutto: Für den Lehrer Hubert Brieden ist dieses Altersgeld die staatliche Quittung für antifaschistisches Engagement. Der jetzt 65-Jährige durfte nicht unterrichten, ist Opfer des »Radikalenerlasses« von 1972. Mit ihm wollte die BRD »verfassungsfeindliche Kräfte« vom öffentlichen Dienst fernhalten. Damit dieses unselige Werk nicht in Vergessenheit gerät, hat die »Niedersächsische Initiative gegen Berufsverbote« eine von DGB-Gewerkschaften und der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit getragene Ausstellung geschaffen. Sie ist bis Mitte Dezember in Hannover zu sehen, reist dann durch die Bundesrepublik. »Einzelne waren betroffen - viele waren gemeint«, ist eine der Tafeln betitelt, die in Wort und Bild die Folgen des Erlasses aufzeigen. Etwa am Schicksal von Hubert R. Ihm versperrte der Staat die Tür zum Lehrerzimmer wegen der »Sünde«, für eine antimilitaristische Zeitschrift geschrieben zu haben.

Engagement für Antimilitarismus und Antifaschismus oder auch nur das Interesse für etwas »Linkes« machten bereits verdächtig im Sinne des Erlasses. Geschmiedet hatten ihn die Ministerpräsidenten der Bundesländer auf einer Konferenz. Ihr Vorsitzender war Bundeskanzler Willy Brandt (SPD). Auch an dessen bekannten Ausspruch »mehr Demokratie wagen!« erinnert die Ausstellung und auch daran, wie mit Menschen umgegangen wurde, die jenen Appell konsequent umsetzten.

Sie gerieten ins Visier des Verfassungsschutzes, wenn sie im öffentlichen Dienst arbeiten wollten. Rund 3,5 Millionen Menschen, so ist auf einer der Infotafeln zu lesen, wurden auf »Verfassungstreue« überprüft, bis zu 35 000 als »verdächtig« eingestuft. Über 10 000 Berufsverbotsverfahren wurden eingeleitet, 2250 Bewerber abgelehnt. Mehr als 250 Beamte, die bereits im Dienst waren, verloren ihren Job.

Gegen all dies richtete sich Protest. Fotos von Demonstrationen sind zu sehen, auch ein Plakat mit dem Spruch: »Alle reden vom Berufsverbot - wir nicht - wir machen es«. Darunter als »Macher« die Ex-Kanzler Helmut Kohl (CDU), Helmut Schmidt (SPD) sowie die früheren Minister Franz Josef Strauß (CSU) und Hans-Dietrich Genscher (FDP).

Dass Regierende in Bonn schon lange vor dem Erlass bei der Postenvergabe ein zweifelhaftes Verständnis von Demokratietreue hatten, entlarvt die Ausstellung, indem sie einige Karrieren schildert. Auch die von Hans Globke. Als Ministerialrat war er im Hitlerfaschismus mitverantwortlich für juristische Grundlagen der Judenverfolgung, 1953 machte ihn Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) zu seinem Staatssekretär. Wie Globkes vorherige Chefs - die Nazi-Herrscher - Berufsverbote verhängten und wie dies zur Zeit der Monarchie geschah: Auch diesen Blick in die Geschichte gewährt die Präsentation.

Doch nur noch Geschichte ist der Radikalenerlass keineswegs, auch wenn er nicht mehr angewendet wird. In Bayern weht noch sein Geist: Dort müssen sich Bewerber für öffentliche Ämter zur Verfassungstreue äußern - auf einem Fragebogen. Dazu gibt’s ein Verzeichnis »extremistischer oder extremistisch beeinflusster Organisationen«. Zu ihnen zählt der Freistaat sogar eine demokratisch in Parlamente gewählte Partei: Die LINKE.

Die Ausstellung »Berufsverbote« läuft bis zum 17. Dezember in Hannover, Verdi-Höfe, Goseriede 10. Geöffnet ist sie montags bis donnerstags von 9 bis 16 und freitags von 9 bis 13 Uhr.

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