Schrift im Wandel

Bildungsrauschen

  • Lena Tietgen
  • Lesedauer: 2 Min.

Noch immer hält der Kulturkampf um das Erlernen von Schreibschrift oder Druckschrift respektive Grundschrift an. Und wie in einer aufgeklärten Welt üblich, wartet jede Seite mit ihren Studien und Erfahrungsberichten auf. Die Debatte ist dabei nicht neu. Bereits Mitte der 1980er Jahre skizzierte der Medienphilosoph Vilém Flusser in seinem Buch »Kommunikologie« (flusser-archive.org) den Wandel der Schriftkultur zur Technokultur. Und in seinem 1987 verfassten Text »Die Schrift - Hat Schreiben Zukunft?« führte Flusser aus: »Es gibt mittlerweile Codes, die besser als die Schriftzeichen Informationen übermitteln. Was bisher geschrieben wurde, kann besser auf Tonbänder, Schallplatten, Filme, Videobänder, Bildplatten oder Disketten übertragen werden. Und vieles was bislang nicht geschrieben werden konnte, ist in diesen neuen Codes notierbar. Die derart codierten Informationen sind bequemer zu erzeugen, zu übertragen, zu empfangen und zu speichern, als geschriebene Texte. Künftig wird mit Hilfe der neuen Codes besser korrespondiert, Wissenschaft geschrieben, politisiert, gedichtet und philosophiert werden können als im Alphabet.«

Die Schrift habe sich aus dem Bild entwickelt, in dem sie dieses dekonstruierte und in Zeilen anordnete, so Flusser weiter. Er beschreibt dies als Abstraktionsvorgang, der zum linearen, geschichtlichen Bewusstsein führte. Mit Technobildern, von Fotografie über Film zum Computer, vollziehe der Mensch nun eine Abstraktion, die ihn weiter von der unmittelbaren Welt entferne, da das geschriebene Wort zurück in ein Bild überführt werde, das auf etwas verweise und somit ähnlich einem Verkehrszeichen einen Code darstelle.

Diese anfänglich kryptischen Gedanken sind mittlerweile in der Fachwelt wie im Alltag zum Allgemeingut geworden. Auf typolexikon.de liest man beispielsweise, dass unsere Schriftkultur, mithin unsere Schreib-, Lese- und Betrachtungsverfahren, durch die Transformation der »materiellen Schrifttechnologie zur virtuellen multimedialen Informationstechnologien« einen grundlegenden Strukturwandel erfahre. Sukzessive übernimmt zudem der Computer Funktionen der Schrift wie die der Archivierung und Kommunikation und verbannt die Handschrift zunehmend in den privaten Raum, was die Frage aufwirft, ob der Computer zum Leitmedium wird. Verschiedene Wissenschaftler plädieren für Gleichwertigkeit der Medien und den flexiblen Einsatz unterschiedlicher Techniken. Dass die Schrift dabei eine Rolle spielt, ist nahezu unbestritten.

Ob es die Schreibschrift sein wird, bleibt wohl noch länger eine offene Frage. Auf welt.de hält die Vorsitzende des Grundschulverbandes Maresi Lassek diese für eine »grafomotorische Trainingseinheit«, die sich im Schriftbild der Erwachsenen kaum wiederfände. Die Zeit zum Üben von Schreibschrift solle besser dem Lernen zukommen. Die Schrift könne dann selbst »Lerninhalt« werden. Mit Kindern gemeinsam könnten in »Schreibkonferenzen« Kriterien der Lesbarkeit entwickelt werden. Lena Tietgen

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