Reichen die AKW-Rückstellungen?

Neue Kommission soll Finanzierung des Atomausstiegs überprüfen

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein neues Gremium soll die Finanzierung des Atomausstiegs überprüfen. AKW-Gegner kritisieren die Zusammensetzung.

38 Milliarden Euro haben die AKW-Betreiber nach eigenen Angaben für den Atomausstieg zurückgestellt. Das Geld liegt auf keinem Konto und in keinem Safe. Es taucht bislang nur in den Bilanzen auf und muss, wie der Energiekonzern RWE kürzlich einräumte, zu großen Teilen erst noch verdient werden, beispielsweise durch die Verstromung von Kohle. Hinzu kommt: Viele Experten schätzen, dass die angeblich zurückgestellten Mittel für den Abriss und die Lagerung des radioaktiven Schrotts bei weitem nicht ausreichen. Verschiedene Schätzungen gehen von mindestens 50 Milliarden Euro aus, andere sogar von einem Mehrfachen. Nur ein vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebener »Stresstest« kam zu dem Ergebnis, dass die Rückstellungen der Stromkonzerne ausreichen.

Mitte Oktober beschloss das Bundeskabinett auf Vorschlag von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) eine sogenannte Konzernhaftung. Sie soll sicherstellen, dass Muttergesellschaften langfristig für die Verbindlichkeiten ihrer Töchter für Rückbau- und Entsorgungskosten haften. E.on hatte im Winter angekündigt, das nicht mehr lukrative Atomgeschäft und weitere Sparten abzuspalten. RWE plant offenbar Ähnliches. Mit der Konzernhaftung würden die Risiken für öffentliche Haushalte und Steuerzahler minimiert, sagte Gabriel.

Zudem hat die Regierung eine »Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs« eingesetzt. Das Gremium soll bis zum Frühjahr Vorschläge erarbeiten, wie die Rücklagen der AKW-Betreiber dauerhaft gesichert werden können. Geleitet wird die Expertengruppe vom früheren Hamburger Regierenden Bürgermeister Ole von Beust (CDU), Ex-Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) und dem ehemaligen Brandenburger Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD). Auf der 19-köpfigen Mitgliederliste finden sich teilweise dieselben Namen wie in der Endlagerkommission - dabei sind der evangelische Bischof Ralf Meister und der ehemalige sächsischen Ministerpräsident Georg Milbradt. Aus der politischen Versenkung geholt wurde die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Monika Griefahn. Umstrittenste Personalie ist Gerald Hennenhöfer. Der ehemalige Leiter der Atomaufsicht im Bundesumweltministerium gilt als Mann der Atomlobby.

Umweltschützer dämpfen große Erwartungen an die neue Kommission. Die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg verwies am Dienstag auf frühere Äußerungen Jürgen Trittins zum Thema. Als Bundesumweltminister hatte er 2001 in einer Mitteilung an die EU-Kommission behauptet: »Das deutsche Rückstellungssystem für die Kernenergie bewährt sich seit Jahrzehnten. Es gibt keinen Fall, in dem Rückstellungsmittel nicht bedarfsgerecht für die Stilllegung zur Verfügung standen oder nicht künftig voraussichtlich zur Verfügung stehen werden.« Auch andere Mitglieder stehen in der Kritik. »Platzeck und von Beust sind ausgewiesene Kenner von Kostenexplosionen bei Großprojekten - Stichwort Elbphilharmonie und Hauptstadtflughafen«, höhnt Jochen Stay von der Anti-Atom-Organisation »ausgestrahlt«.

Zum Start der Kommission am Donnerstag wollen Atomkraftgegner vor dem Bundeswirtschaftsministerium ein symbolisches Atommülllager errichten. Außerdem sollen den Kommissionsvorsitzenden 130 000 Unterschriften übergeben werden. Um die Sicherung der Rückstellungen zu gewährleisten, fordern die Unterzeichner die Überführung in einen öffentlich-rechtlichen Fonds und eine Nachhaftungspflicht der Betreiber.

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