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Handwerker der Macht

Im Kino: »Mielke - Meister der Angst« von Jens Becker und Maarten van der Duin

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.

Er war zweifellos das hässliche Gesicht der DDR. Der demissionierte Aufklärungschef im Ministerium für Staatssicherheit Markus Wolf verachtete seinen vormaligen Minister, der für ihn der Inbegriff von »Grobheit und Plusterei« war. Aber war Erich Mielke auch ein »Meister der Angst?«

Eigentlich hat man 25 Jahre nach dem Ende der DDR wenig Lust, sich einen Film über den Stasi-Chef Mielke als kontrollwütig-paranoiden Dämon anzuschauen. Das kennt man doch, denkt man, bis hin zu seinem »Ich liebe doch alle Menschen« vor der Volkskammer - und ist dann sehr erstaunt. Natürlich bleibt Mielke der brutale und bornierte Mensch, den man bereits vermutete, jemand, der hartnäckig den »Klassenkampf« gegen die eigene Bevölkerung führte und dem man jederzeit zutraute, dass er dabei auch über Leichen ging. Aber es kommen in dem Film von Jens Becker und Maarten van der Duin bedenkenswerte Facetten zu diesem Bild des Stasi-Chefs hinzu, Facetten, die ankündigen, dass nun auch der Kontroll- und Unterdrückungsapparat des DDR-Geheimdienstes aus der Zone der unmittelbaren Betroffenheit in die Regionen der Historie rückt.

Mit dem wachsenden Abstand schaut man emotionsloser und genauer - und das kann für ein gerechtes Bild nur nützlich sein. Stasi-Unterlagenchef Roland Jahn, einer der sparsam zu Wort kommenden Zeitzeugen, sagt dann auch sehr richtig, man wisse sehr gut, was Mielke repräsentierte, »aber eigentlich kannte man ihn nicht«. Doch wer wollte diesen Menschen schon kennen lernen? Auch die führenden Genossen fürchteten sein geheimes Wissen, das ihm seine Macht verlieh.

Die Machart von »Erich Mielke - Meister der Angst« hat Konjunktur und längst einen Namen: Doku-Drama. Diese Zwitter aus Fernsehspiel und Dokumentarfilm sollen üblicherweise die sperrige Historie auf unterhaltsame Weise animieren und sind künstlerisch wie dokumentarisch bestenfalls zweitrangig. Hier jedoch nicht! Da wollten die beiden Regisseure (die auch das Buch schrieben) offenbar wirklich herausfinden, was dieser Mielke für einer war - jenseits dessen, was ohnehin jeder weiß.

Und sie sie fanden einen Schauspieler, der einst im Ensemble des DDR-Fernsehens bekannt wurde und danach lange auf eine große Rolle warten musste. Jetzt hat Kaspar Eichel sie, und er macht das ausgezeichnet. Denn er nimmt den 83-jährigen Mielke, der ab 1990 in der Haftanstalt Berlin Moabit sitzt, jederzeit ernst. Er spielt Mielke, wie ein guter Schauspieler einen negativen Helden spielen sollte: konzentriert gegen die Versuchung an, sich moralisch im Spiel von ihm zu distanzieren. Nur so wird es interessant.

Da hadert ein alter Mann mit seinen Genossen, von denen er sich verraten meint, aber da ist mehr: das Psychogramm einer Generation von Kommunisten, die im Freund-Feind-Denken befangen weder ein Gefühl von individueller Freiheit entwickelte noch jemals aus dem Schützengraben des Kalten Krieges herauskam. Meister waren sie nur im Konspirativen, im Misstrauen und einer permanenten Kontrolle, die sie »revolutionäre Wachsamkeit« nannten. Diese »alten Genossen«, die Wolf Biermann noch in den frühen 60er Jahren beschwor, sie mögen ihrem Werk ein gutes Ende setzen, »indem ihr uns den neuen Anfang lasst«, sie krallten sich mit allen Mitteln an die Macht, waren selbst die Totengräber jener Vision aus dem Kommunistischen Manifest, die in der Freiheit des Einzelnen die Voraussetzung der Freiheit aller sah.

Jeder Kommunist in der DDR hatte also einen guten Grund, Erich Mielke zu hassen. Aber auch Mielke gehörte unauflösbar zur kommunistischen Bewegung, wie im Film gezeigt wird. Dieser sich von Feinden umgeben sehende Verfolger-Typus war in seiner Lebensführung ein anspruchsloser, geradezu bescheidener Mensch. In Moabit hat er nur einen Wunsch: wieder nach Hause zu seiner Frau zu dürfen. Davon zeigen sich seine beiden Anwälte (West) Stefan König und Hubert Dreyling dann auch überrascht. Seine Disziplin und Willensstärke imponiert ihnen. Dreyling: »Er war ein, in meinen Augen, einfach strukturierter Mann mit relativ simpler Weltanschauung. So kitschig das klingen mag, auf seine Weise war er ein Idealist. Hat nicht geraucht, nicht getrunken, keine Weibergeschichten, fast asketisch, gar nichts. Er hat sich dieser Partei bis hin zu seiner Haft in Moabit fest verschrieben.«

Mielkes weltanschauliche Militanz ist nicht ohne sein Herkommen zu erklären. Aufgewachsen ist er im »roten Wedding« in einem Elends-Milieu. Die Familie ist so arm, dass man hungert und »umschichtig« schlafen muss, weil nicht genug Betten für alle da sind. Er schämt sich des Schmutzes und der Verkommenheit. So will er nicht leben. Darum waren Fleiß, Gehorsam, Ordnung, Gesundheit und Sauberkeit für ihn die Werte, die er in der kommunistischen Bewegung suchte - und lebenslang verteidigte. Der Junge ist intelligent, bekommt eine Freistelle fürs Gymnasium. Die Eltern melden ihn wieder ab. Es ist das Schicksal eines »sensiblen Kindes in gefühlsarmer Umgebung«, so die Filmemacher.

Mit vierzehn tritt er in den kommunistischen Jungendverband ein - hier findet er seine Mission. Und ist sofort der Kerl fürs Grobe, einer, der im paramilitärischen »Parteiselbstschutz« gern die verhassten Klassenfeinde verprügelt. Am 9. September 1931 eskaliert die Situation, als Mielke am Bülow-Platz auf drei Polizisten schießt, von denen zwei sterben. Mielke wird als Mörder gesucht - und taucht ab, flieht mit Parteiauftrag nach Moskau, wo er als »Tschekist« geschult wird. Was man nicht verschweigen darf: Die Polizei ging an diesem Tag äußerst brutal gegen Demonstranten vor, auch sie erschießt einen Unbeteiligten.

Immer wieder O-Töne Mielke, die zeigen, dass er seine Macht genoss, die darin lag, Angst zu verbreiten. Vor allem war er - zweiunddreißig Jahre als Stasi-Chef - ein routinierter Handwerker der Machtsicherung. Vor der Kommunalwahl 1989 »bearbeitet« das MfS potenzielle Nichtwähler (bei der Hälfte hat man Erfolg) - aber dass dann die Wahlergebnisse hin auf die üblichen 99 Prozent »Zustimmung für die Kandidaten der Nationalen Front« geschönt werden, hält Mielke für einen schweren Fehler.

Und er hat dabei den richtigen Instinkt. Denn aus dieser Wahlfälschung, die auch geltendes DDR-Gesetz brach, erwächst jene immer stärker werdende Bürgerbewegung, die im Herbst 1989 die Wende erzwingt. Mielke will mit dem ganzen Machtapparat dagegen losschlagen, aber ihm sind die Hände gebunden, weil die Russen klar machen, dass es mit ihnen keinen zweiten 17. Juni 1953 geben wird, als Panzer die Existenz des Staates retteten.

Neunzig Minuten Geschichtsunterricht der anschaulich-intelligenten Art, die man gerade am Beispiel Erich Mielkes kaum mehr erwartete. Und dass Mielke dann schließlich für den zum Zeitpunkt der Verurteilung sechzig Jahre zurückliegenden Polizistenmord verurteilt wurde, die in seinen Amt begangenen Verbrechen jedoch überhaupt nicht zum Thema des Prozesses wurden, ist eine der Absurditäten der Nachwende. Zumal die Akten über Mielke von BND und CIA immer noch entweder gar nicht oder nur sehr zögernd freigegeben werden. Zum Kalten Krieg gehörten nun mal zwei Seiten.

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