Die vernebelnde Autoindustrie

Testergebnisse bei CO2-Emissionen liegen um 40 Prozent unter den Realwerten

Dass Autohersteller auch bei ihren Angaben zum CO2-Ausstoß und zum Spritverbrauch schummeln, ist schon lange bekannt. Eine neue Studie macht nun das ganze Ausmaß der Tricksereien deutlich.

Diese Erfahrung hat wohl jeder Autobesitzer schon gemacht: Die Herstellerangaben zum durchschnittlichen Spritverbrauch eines Neuwagens und die Realität an der Zapfsäule klaffen weit auseinander. Wie eine neue Studie zeigt, geht es hier nicht um ein teures individuelles Ärgernis für Autofahrer mit Bleifuß, sondern um ein zunehmend ausgeklügeltes System der Konzerne: Nach Auswertung von Daten zu nahezu 600 000 Fahrzeugen in ganz Europa kommt der International Council on Clean Transportation (ICCT) zu dem Ergebnis, dass die durchschnittliche Abweichung zwischen Test- und Realwerten von rund acht Prozent im Jahr 2001 auf fast 40 Prozent im vergangenen Jahr angestiegen ist. Für die wachsende Diskrepanz, schreiben die Experten der gemeinnützigen Nichtregierungsorganisation, seien nicht etwa Änderungen im Fahrverhalten der Kunden verantwortlich, sondern »eine zunehmende Ausnutzung von Schlupflöchern in der Testprozedur durch die Fahrzeughersteller«. Im Schnitt lägen die Kraftstoffkosten pro Auto um jährlich 450 Euro höher, als es die Herstellerangaben hätten erwarten lassen, wie sich aus Tests durch Motorzeitschriften, aus Zahlen von Leasingfirmen oder von Portalen wie »spritmonitor.de« ergibt.

Der ICCT, auf dessen Hinweise hin bereits die US-Umweltbehörde EPA gegen VW im Dieselskandal tätig wurde, weist auf einen politischen Zusammenhang dieser Entwicklung hin. Vor allem seit 2008, als in der EU erstmals Obergrenzen für den CO2-Ausstoß von Neuwagen festgelegt worden waren, haben die Autokonzerne die Emissionen ihrer neuen Modellgenerationen auf dem Prüfstand optimiert und tun dies weiter: Bis 2020 werde die Diskrepanz auf etwa 50 Prozent anwachsen. Die Höhe des Spritverbrauchs verhält sich etwa proportional zur Höhe der Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid. Der eigentliche Skandal: In den letzten Jahren sind die CO2-Emissionen der mit großem Forschungsaufwand entwickelten neuen Modellgenerationen entgegen den EU-Auflagen praktisch gar nicht mehr gesunken: 2009 lagen sie bei 172 Gramm pro gefahrenem Kilometer, im vergangenen Jahr bei 168 Gramm. Sie liegen damit weit über den gesetzlichen Grenzwerten. Die von den PR-Strategen der Autokonzerne medienträchtig behaupteten Fortschritte gab es nur noch im Prüfzyklus, nicht aber auf der Straße.

Bei dem CO2-Skandal geht es nicht nur um Dieselautos und den Volkswagen-Konzern. Betroffen sind auch Benziner und praktisch alle Hersteller. Mit einer Diskrepanz von 37 Prozent zwischen Test- und Realverbrauch liegt VW laut den ICCT-Angaben sogar leicht unter dem Schummeldurchschnitt. Darüber liegen dagegen etwa der weltgrößte Autokonzern Toyota mit 41 Prozent und vor allem Daimler mit 48 Prozent. Überhaupt sind die Abweichungen bei den Premiummodellen besonders hoch, aber auch bei den gerne als klimafreundlich bezeichneten Hybridautos, die einen Verbrennungs- und einen Elektromotor haben.

Die für möglicherweise milliardenschwere Schadenersatzzahlungen entscheidende Frage lautet: Nutzen die Hersteller lediglich die bestehenden Schlupflöcher bei den Prüftests immer effektiver aus oder wenden sie auch illegale Praktiken an, wie sie VW für einige Modelle jetzt eingeräumt hat? Die ICCT-Studie kann dies nicht klären. Etwa eine Betrugssoftware zu finden, ist angesichts der heute üblichen Motorsteuerung durch Bordcomputer fast unmöglich. Wollte man den Code samt Beschreibungen im Format A4 ausdrucken, käme man auf rund 10 000 Seiten, schreibt das IT-Portal »golem.de«. So leicht es sei, ein paar Codezeilen zu programmieren, die bei der Erkennung von Labortests auf dem Rollenprüfstand den Motor vom Normalmodus auf eine abgasarme Fahrweise umstellen, so schwer sei es, den Betrug mit den herkömmlichen Tests zu entdecken.

Umso wichtiger ist es also, die Vorgaben für die Testverfahren zu ändern. Tatsächlich sind die Tage des bisher vorgeschriebenen Neuen Europäischen Fahrzyklusses (NEFZ) gezählt. Ab 2017 wird schrittweise das weltweit standardisierte WLTP-Verfahren eingeführt. Bei diesem werden auf dem Rollenprüfstand höhere Geschwindigkeiten als beim NEFZ gefahren, das Mehrgewicht von Sonderausstattung wird berücksichtigt und es gibt einen geringeren Standzeitanteil. Laut dem ICCT könnten die Diskrepanzen zwischen Test und Straße dadurch bis 2020 auf rund 30 Prozent sinken. Es bestehe aber die Gefahr neuer Schlupflöcher. Wirksamer wäre die Einführung unabhängiger Nachtests zufällig ausgewählter Serienfahrzeuge, wie in den USA längst üblich, sowie die Überprüfung der Abgaswerte im realen Straßenverkehr.

Letztere ist bisher lediglich bei der Ermittlung der Stickoxidwerte neuer Dieselmotoren vorgesehen. Ein technischer Ausschuss der EU-Staaten hatte vergangene Woche die Rahmenbedingungen für neue Abgastests beschlossen. Demnach darf der Stick-oxidausstoß auf der Straße dauerhaft um die Hälfte über den im Labor gemessenen Werten liegen. In einer mehrjährigen Übergangsphase kann die Abweichung sogar mehr als das Doppelte betragen. Ganz offenbar hat die Autolobby hier wieder ganze Arbeit geleistet. Wie weit die Hersteller von der Entwicklung sauberer Fahrzeuge entfernt sind, zeigt die Äußerung des Verbands der deutschen Automobilindustrie, dass selbst solch laxe Werte Autobauer und Zulieferer vor »große technische und wirtschaftliche Herausforderungen« stellten.

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