Endstation Flüchtlingscamp

Die Not im Bürgerkriegsland Südsudan wächst immer weiter

  • Lesedauer: 4 Min.
Hunderttausende Südsudanesen fliehen vor der Gewalt in ihrem Land. Diejenigen, die es in ein UN-Lager schaffen, erhalten Hilfe. Doch richtig sicher sind sie auch dort nicht. Und eine Rückkehr in die Heimat ist undenkbar.

Bentiu. Guei Kai Dak war ein wohlhabender Mann. Nun sitzt er auf einer Matte im Flüchtlingslager im südsudanesischen Bentiu und hat bis auf seine Töchter alles verloren. Im Juni musste er vor der Gewalt in der Erdölregion im Norden des Landes auf ein Grundstück der UN-Mission fliehen. Bereits 140.000 Menschen haben in dem improvisierten und völlig überfüllten Lager Zuflucht gefunden - und täglich werden es mehr.

Ein Ende August unterzeichnetes Friedensabkommen hat keinen Frieden gebracht. Es wird zwar weniger gekämpft, aber die Lage ist weiter bedrohlich. Mit seinen überlebenden Töchtern hat Guei Kai Dak in einem Zelt für mehrere Familien Unterschlupf gefunden. Der alte Mann ist mager und schwach, sein linkes Auge ist durch eine Infektion verklebt, medizinische Hilfe gibt es nicht genug.

In dem Ende 2013 begonnenen Krieg haben beide Seiten furchtbare Verbrechen begangen, die Soldaten der südsudanesischen Armee und die Rebellen von Ex-Vizepräsident Riek Machar. Etwa 1,5 Millionen Menschen sind im Südsudan auf der Flucht, 700.000 haben sich in die Nachbarländer gerettet.

Die Bevölkerung flieht aber nicht nur vor der allgegenwärtigen Gewalt. Eine Hungersnot, als Folge des Krieges, breitet sich in dem Land aus. Die Felder sind nicht bestellt, das Vieh von marodierenden Kämpfern gestohlen oder getötet. Nach Angaben des Welternährungsprogramms (WFP) wissen etwa vier der elf Millionen Südsudanesen nicht, woher sie die nächste Mahlzeit bekommen sollen. Etwa als 680.000 davon sind Kinder unter fünf Jahren.

Das WFP verteilt derzeit Lebensmittel an fast 1,5 Millionen Menschen. Eine logistische Herausforderung, denn die wenigen Straßen sind kaum asphaltiert und viele von ihnen in der Regenzeit unpassierbar. Mehr als die Hälfte des Landes ist jedes Jahr acht Monate von der Außenwelt abgeschnitten oder nur aus der Luft zu erreichen.

Das gilt auch für Bentiu. »Das Vertriebenenlager hier ist eins der schwierigsten Einsatzgebiete«, stellt der Leiter der Deutschen Welthungerhilfe im Südsudan, Jonas Wiahl, fest. Denn das UN-Gelände liegt im Sumpfgebiet und ist völlig ungeeignet für so viele Menschen. Die Welthungerhilfe und das WFP versorgen die Menschen mit Sorghum, Hülsenfrüchten, Speiseöl, Salz und eiweißhaltigen Keksen.

Guei Kai Dak ist dankbar dafür. Denn er konnte buchstäblich nur seine Haut retten vor der Armee. »Wir wurden da draußen umgebracht, und unsere Hütten abgebrannt.« Sogar seine Rinder hätten die Militärs mitgenommen, 1.500 Stück, erzählt der Mann, dem nichts bleibt von seinem Reichtum, bestohlen und vertrieben von Soldaten seiner Regierung.

Auch Rosa Nyeluak Koang ist von Leben und Krieg gezeichnet. Aber ihr Gesicht und ihr intensiver Blick strahlen trotz allem Güte aus. Koang floh schon kurz nach Kriegsbeginn aus ihrem Dorf. Zwei ihrer fünf Töchter waren davor ermordet worden, ihre 40 Rinder geraubt. Noch nicht einmal im Lager fühlt sie sich sicher. Um Wasser und Feuerholz zu holen, müssen die Frauen aus dem Camp in den Busch, erzählt sie. »Und da werden wir häufig vergewaltigt.«

Zwei Mal habe sie schon zusehen müssen, wie Bewaffnete ihren Töchtern Gewalt antaten. Trotzdem müssen sie raus, Holz und Wasser brauchen sie zum Leben. Laut der UN-Mission im Südsudan (Unmiss) erhalten die Frauen jetzt häufiger bewaffnete Begleitung, wenn sie das Camp verlassen müssen. Aber es gibt viel zu wenige UN-Soldaten, um alle Frauen zu schützen.

Auch für die Mitarbeiter von Hilfswerken ist die weit verbreitete Gewalt ein Problem. Seit Beginn des Krieges wurden bereits 30 südsudanesische Helferinnen und Helfer getötet. Sie würden häufig wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit angegriffen, sagt Skye Wheeler von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. »Die Konfliktparteien nehmen an, dass Angehörige dieser oder jener Ethnie automatisch auf dieser oder jener Seite des Konfliktes stehen.« Dass Soldaten und Rebellen nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterscheiden, sei kennzeichnend für diesen Krieg.

Die Organisationen bleiben dennoch im Land, auch »Ärzte ohne Grenzen«. Deren Klinik in Bentiu besteht aus mehreren großen Zelten. Sandsäcke um die Zelte und am Rande der Wege sollen Schlamm und Wasser fernhalten. Derzeit werden viele Malaria-Patienten behandelt, die Regenzeit hat den Ausbruch einer Epidemie befördert. »Vor allem von den kleinen Kindern sind viele sehr, sehr krank«, sagt Vanessa Crammond, Koordinatorin der medizinischen Nothilfe. Viele leiden an weiteren Krankheiten und sind durch ihre Mangelernährung zusätzlich geschwächt. In den vergangenen Wochen seien jeden Tag acht bis zwölf Kinder an Malaria gestorben, sagt Crammond. »Viel zu viele.«

Um so gut es geht weitere Malaria-Opfer zu vermeiden, gehen die Helfer inzwischen von Zelt zu Zelt und testen die Vertriebenen auf das tropische Fieber. »Sonst kommen die Menschen oft erst so spät, dass wir ihnen kaum noch helfen können«, erläutert Crammond.

Die Vertriebenen sind froh, auf dem UN-Grundstück Zuflucht gefunden zu haben. Dennoch möchten die meisten am liebsten wieder zurück. Nur: die meisten haben kein Zuhause mehr. Das gilt auch für Rosa Nyeluak Koang. »Wir haben keine Hoffnung«, sagt die alte Frau leise. »Wir können nur noch beten.« epd/nd

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