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Reformen auf russisch

Nach dem Ausschluss aus dem Weltverband will Moskau die Olympiateilnahme seiner Leichtathleten sichern

Russland will nach dem Dopingskandal den Totalschaden vermeiden: Olympia ohne seine Leichtathleten. Die bisherigen Reformvorschläge reichen dafür nicht.

Wie verhalte ich mich, wenn ich erwischt wurde? Dieses an Skandalen reiche Sportjahr zeigt, dass sich die Reaktionen von Funktionären nach aufgedecktem Betrug gleichen. Erstens: Leugnen so lange es möglich ist. Zweitens: Zugeben, was eh schon alle wissen. Drittens: Stets vollumfängliche Kooperation bei der Aufklärung zusichern. In der Leichtathletik ist es da nicht anders als im Reich des Fußballs mit FIFA-Präsident Joseph Blatter oder dem zurückgetretenen DFB-Chef Wolfgang Niersbach. Seit kurzem ermittelt die französische Justiz gegen den Senegalesen Lamine Diack, der den Leichtathletikweltverband 16 Jahre lang geführt hat, wegen Korruption, Geldwäsche und Bestechlichkeit.

»Wir werden vollumfänglich mit der IAAF kooperieren«, sagte nun Russlands Sportminister Witali Mutko am Sonnabend. Einen Tag zuvor wurde der russische Leichtathletikverband vom Weltverband vorläufig suspendiert. 22 der 24 Councilmitglieder der IAAF hatten in Monaco bei einer Gegenstimme so entschieden. Michail Butow, Generalsekretär der Gesamtrussischen Leichtathletikförderation WFLA, durfte nicht mit abstimmen. Die Suspendierung ist zwar vorläufig, aber auch unbefristet. So lange keine andere Entscheidung getroffen wird, dürfen Russlands Leichtathleten nicht mehr an internationalen Wettkämpfen teilnehmen. Zudem wurde dem Land die Ausrichtung der Junioren-WM, die im Juli 2016 in Kasan hätte stattfinden sollen, wieder entzogen. Auch die bislang geplante Weltcupveranstaltung der Geher im Mai in Tscheboxari wird neu vergeben.

Grund für diese »härtest mögliche Strafe«, wie es IAAF-Präsident Sebastian Coe formulierte, soll systematisches Doping in Russland sein. Die ARD-Dokumentation »Geheimsache Doping: Wie Russland seine Sieger macht« hatte Anfang Dezember 2014 erste Belege dafür und Untersuchungen in Gang gebracht - und auf russischer Seite natürlich für Entrüstung gesorgt. Weitere Beweise lieferten im vergangenen August gemeinsam die ARD und die britische Zeitung »Sunday Times«. Witali Mutko reagierte gemäß dem Funktionärs-ABC: »Das ist Quatsch.« Für den russischen Leichtathletikverband war das alles »eine unverschämte Lüge.«

Vor einer Woche hat dann die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA ihren Untersuchungsbericht präsentiert - mit der Empfehlung von harten Sanktionen. Ein Kreml-Sprecher forderte noch eilig »Beweise«. Als Drohung aus Moskau kann man die Entscheidung vom vergangenen Mittwoch werten: Die halbstaatliche russische Bank VTB wird ihren Vertag als Großsponsor der IAAF nicht verlängern.

Es half alles nichts: Der russische Verband ist raus - und nun bangen nicht nur Russlands Sportler um die Teilnahme an den Sommerspielen in Rio. Für den Kreml ist die olympische Bühne eine ganz wichtige. »Soft Power« - das ist die Instrumentalisierung unter anderem des Sports für politische Zwecke. Und Präsident Wladimir Putin ist ein Meister der Mittel der »Weichen Macht«. Natürlich ist er nicht der Einzige. Und natürlich hat auch Witali Mutko Recht, wenn er beständig wiederholt, dass nicht nur in Russland gedopt werde. Aber sowohl die Dokumentaionen als auch der WADA-Bericht legen nahe, dass das Doping in Russland System habe und offenbar von höchsten Stellen der Moskauer Regierung gedeckt worden sei.

Nun geht es darum, den Totalschaden zu vermeiden: Olympische Spiele ohne Russlands Leichtathleten. Und nun ist Mutko plötzlich bereit, »bis zu 99 Prozent« der Führung des Leichtathletikverbandes auszutauschen: »Es werden neue, moderne Leute kommen.« Eine davon soll die mehrfache Stabhochsprungweltrekordlerin Jelena Issinbajewa sein. Sie ist eine russische Vorzeigeathletin - eng verbunden mit der politischen Elite des Landes. Im Mai wurde sie Major der Armee. Bei den Winterspielen in Sotschi war sie Bürgermeisterin des Olympischen Dorfes. Dort stellte sie ihre moderne Lebensauffassung so unter Beweis: »Bei uns leben Männer mit Frauen, Frauen mit Männern«, verteidigte sie homophobe Gesetze in ihrem Land.

Der im April ernannte Cheftrainer von Russlands Leichtathleten Juri Borsakowski soll auch ein neuer Kopf des Verbandes werden. Bei seinem Amtsantritt erklärte er das Thema Doping zur »Vergangenheit« und alle Athleten ab sofort für »sauber«. Reformen auf russisch.

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