Urteil: Jugendliche Flüchtlinge dürfen nicht in EU-Staaten abgeschoben werden

Deutschland muss ihre Asylanträge auch dann bearbeiten, wenn sie schon in anderem EU-Staat gestellt wurden / Hisbollah-Unterstützerverein bleibt verboten

  • Sven Eichstädt, Leipzig
  • Lesedauer: 3 Min.
Grundlage für die höchstrichterliche Entscheidung war ein Urteil des EuGH von 2013: Danach ist der Staat für den Minderjährigen zuständig, in dem sich der Jugendliche aufhält, nachdem er einen Asylantrag gestellt hat.

Jugendliche Flüchtlinge können in der Regel nicht aus der Bundesrepublik in andere EU-Staaten abgeschoben werden. Das Bundesinnenministerium hat einen Verein, der die Hisbollah unterstützt, zu Recht verboten. Das hat das Bundesverwaltungsgericht am Montag entschieden.

Bei Minderjährigen muss Deutschland selbst dann ihre Asylanträge bearbeiten, wenn sie schon in anderen Staaten der EU Asylanträge gestellt haben und ein EU-Mitgliedsland die Jugendlichen deshalb wieder aufnehmen würde, Bei Jugendlichen ist dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zufolge im Unterschied zu Erwachsenden allein der Staat für das Asylverfahren zuständig, in dem sich die Jugendlichen aufhalten (Az. 1 C 4.15).

Grundlage für die höchstrichterliche Entscheidung ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs von Juni 2013 (Az. C-648/11), für das die Luxemburger Richter die Dublin-Bestimmungen ausgelegt hatten: Danach ist der Staat für den Minderjährigen zuständig, in dem sich der Jugendliche aufhält, nachdem er einen Asylantrag gestellt hat. »Dies gilt nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts auch, wenn der Minderjährige nach Abschluss eines Asylverfahrens erneut in einem anderen Mitgliedstaat Asyl beantragt«, erläuterte des Vorsitzende Richter des ersten Senats, Uwe-Dietmar Berlit.

Das heißt: Selbst wenn ein Asylantrag von minderjährigen Flüchtlingen, die ohne Eltern unterwegs sind, schon in einem anderen EU-Land abgelehnt worden war, kann der Jugendliche in Deutschland bleiben und darf nicht in diesen anderen EU-Staat abgeschoben werden. Damit unterscheiden sich die Folgen der Dublin-Verordnungen für jugendliche Flüchtlinge komplett von denen für erwachsene Asylbewerber: Die volljährigen Flüchtlinge müssten in diesem Fall in das andere EU-Land zurück – eben nach der gleichen Dublin-Verordnung. Die fünf Richter des ersten Senats in Leipzig begründeten dies mit dem Minderheitenschutz und damit, dass die Dublin-Bestimmungen für Jugendliche Grundrechtsschutz entfalteten. Bei Erwachsenen hatte derselbe Senat noch im Oktober komplett gegenteilig entschieden, dass nämlich Bestimmungen im Dublin-Verfahren eben nicht dem Schutz einzelner Asylbewerber dienen (Az. 1 C 32.14, 1 C 33.14 und 1 C 34.14). In diesem Fall führten die Regelungen von Fristen, die Staaten entsprechend der Dublin-Bestimmungen einhalten müssen, wenn sie Flüchtlinge in ein anderes EU-Land abschieben wollen, weil sie dort schon registriert worden waren, nicht dazu, dass die Flüchtlinge die Abschiebung mit dem Argument verhindern können, dass die Bundesrepublik Fristen des Dublin-Verfahrens nicht eingehalten hat.

Ebenfalls der erste Senat des Bundesverwaltungsgerichts entschied am Montag, dass Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) im April 2014 den Verein Farben für Waisenkinder zu Recht verboten hatte (Az. 1 A 4.15). Der erste Senat nahm wie schon das Innenministerium an, dass sich der Verein gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtete. »Der Verein erfüllt diesen Verbotstatbestand, weil er über einen langen Zeitraum und in beträchtlichem Umfang die Shahid Stiftung im Libanon unterstützt hat – im Zeitraum von 2007 bis August 2013 mit mehr als drei Millionen Euro«, sagte Richter Berlit.

»Die Stiftung ist integraler Bestandteil der Hisbollah, die ihrerseits das Existenzrecht des Staates Israel negiert, zu dessen gewaltsamer Beseitigung aufruft und sich damit gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet.« Die von dem Verein unterstützte Shahid Stiftung ist Teil des Sozialnetzwerks der Hisbollah und betreut Waisenkinder und Hinterbliebene von Hisbollah-Kämpfern, die unter anderem bei Kampfhandlungen gegen die israelischen Streitkräfte ums Leben kamen. Die Tätigkeit der Stiftung ziele damit darauf ab, durch die soziale Absicherung der Hinterbliebenen der sogenannten »Märtyrer« die Bereitschaft zur gewaltsamen Beseitigung des Staates Israel zu wecken und zu stärken.

»Indem der Verein durch das Sammeln und Bereitstellen von Spendengeldern für die Shahid Stiftung zur Sicherung des Lebensunterhalts der Angehörigen von gefallenen Hisbollah-Kämpfern beiträgt, unterstützt und fördert er bewusst deren Kampf gegen Israel und verstößt damit selbst gegen den Gedanken der Völkerverständigung«, ergänzte Richter Berlit.

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