nd-aktuell.de / 19.11.2015 / Kultur / Seite 15

Die Sprache der Angst

Thomas de Maizière

Jürgen Amendt

Dem Wesen nach ist die Kulturindustrie trotz ihrer Mannigfaltigkeit ein auf routinierte, eingeschliffene Abläufe angelegter Betrieb, der eine Gesellschaft in ihrem Inneren zusammenhalten soll. Eine Störung der Routine ist daher ein Eingriff nicht nur in die betrieblichen Abläufe dieser Industrie, sondern in die Stabilität der Gesellschaft überhaupt. Wenn es den IS-Terroristen also gelingen würde, z.B. in Deutschland einen Spieltag der Fußball-Bundesliga zur Absage zu bringen, würde das unmittelbar die Selbstgewissheit erschüttern, dass wesentliche Institutionen der Gesellschaft - Politik und Medien - noch funktionieren. Zu der Absage eines Bundesligaspieltages ist es noch nicht gekommen, doch seit Dienstag haben wir eine Ahnung davon vermittelt bekommen, was eine Gesellschaft, wie die unsrige, zu erschüttern in der Lage ist.

Karl Ernst Thomas de Maizière sprach am Dienstag in besonders ernstem Ton. Jedes seiner Worte klang wohl überlegt, unendlich lang schienen die Pausen zwischen Sätzen, Wortgruppen und Gedanken zu sein. Es war eine Art Hochamt, das der Bundesinnenminister auf der Pressekonferenz abhielt, in der er den Journalisten erläuterte, warum das Fußballländerspiel Deutschland-Niederlande in Hannover aus Sicherheitsgründen nach einer Bombenwarnung abgesagt werden musste. Die TV-Zuschauer, denen die Worte des Ministers live via ARD übermittelt wurden, erfuhren zwar den Grund der Spielabsage, jedoch nichts über dessen Inhalt.

Pressekonferenzen sind dazu gedacht, die Öffentlichkeit zu informieren. Was Thomas de Maizière am Dienstag tat, war allerdings das Gegenteil von Information. Auf die Frage eines Journalisten, wie konkret die Bombenwarnung sei, welches Ausmaß die Gefährdung habe und ob diese über das Ereignis in Hannover hinaus auch für die Zukunft bestehe, antwortete der Bundesinnenminister auf eine Art und Weise, die uns voraussichtlich auch in Jahren noch in Erinnerung bleiben wird. Er möchte darauf nicht antworten, sagte er, denn »ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern«.

Erreicht hat Thomas de Maizière damit genau das Gegenteil - und er hat mitgeholfen, dass die IS-Terroristen eines ihrer Ziele erreichen können: Menschen zu verunsichern, Angst zu verbreiten. Angst aber ist ein denkbar schlechter Ratgeber. Die meisten Menschen - das zeigen die vielen Reaktionen von Fußballfans, die geplant hatten, das Fußballspiel Deutschland-Niederlande zu einer Demonstration gegen Terror und Gewalt zu nutzen, fürchten sich sicherlich vor Anschlägen wie denen von Paris, sie ängstigen sich aber (noch) nicht. Im Gegensatz zur Angst - und das sollte vielleicht jemand Thomas de Maizière erklären, ist die Furcht rational begründbar und sie richtet sich gegen eine reale oder zumindest als real empfundene Bedrohung. Furcht lässt uns handeln, Angst uns dagegen in Panik verfallen.