Problematischer Populismus

Von Podemos lernen – vom politischen Aufbruch 
zur absehbaren Niederlage

  • Raul Zelik
  • Lesedauer: 9 Min.

Nur ein Jahr nach dem Gründungskongress von Podemos scheinen sich die Unkenrufe der Skeptiker bestätigt zu haben. Die Gründung der Bewegungspartei hat weder das gesellschaftliche Klima noch die Parteienlandschaft nach links verschoben. Ein demokratischer Bruch im spanischen Staat ist heute schwerer vorstellbar als vor einem Jahr.

Dabei ist das Problem nicht allein, dass Podemos bei Umfragen auf unter 14 Prozent zurückgefallen ist (nicht zuletzt deshalb, weil mit Ciudadanos nun auch eine rechtspopulistische Partei die Glaubwürdigkeitskrise zu kanalisieren versteht). Die antikapitalistische CUP stellt mit ihren 8 Prozent in Katalonien gerade unter Beweis, dass auch Minderheitenparteien gesellschaftliche Debatten wirkungsvoll verschieben können.

Viel dramatischer ist, dass Podemos keine demokratisierende Kraft mehr entfaltet. In gewisser Hinsicht wirkt die Partei sogar dem entgegen, was die 15M-Bewegung an kollektivem Wissen erarbeitet hatte. Die Platzbesetzungen von Mai 2011 und die daran anschließende Protestwelle hatten eine spektakuläre Repolitisierung der Gesellschaft in Gang gesetzt. Millionen begriffen, dass politische Veränderungen nur durch die Selbstorganisierung der Vielen und soziale Kämpfe durchgesetzt werden können.

Doch genau dieser Erkenntnis wirkt Podemos nun entgegen: Die Parteispitze hat zunächst die alte (und falsche) Illusion wiederbelebt, emanzipatorische Politik könne ebenso wie die bürgerlicher Parteien (die Herrschaftsverhältnisse nicht überwinden, sondern verwalten wollen) an Repräsentanten übertragen werden. Und die rasante Anpassung an den Politikbetrieb (Fixierung auf Wahlen, Marketinglogik, Personalisierung der Politik ...) sowie die auffallend autoritären Führungsstrukturen haben in einem zweiten Schritt dann das bekannte Vorurteil bekräftigt, dass »Politik korrumpiert« und man dementsprechend »sowieso nichts ändern kann«.

Dabei haben die Argumente, die 2013 zur Gründung von Podemos führten, nichts an Gültigkeit verloren. Da die Straßenproteste die kapitalistische Verwertung nicht gefährdeten und die Eliten neben der ökonomischen Macht auch über die Kontrolle der Institutionen verfügten, blieb das neoliberale Regime fest im Sattel. Viele Linke sahen daher die Notwendigkeit, den Eliten nach der öffentlichen Meinung nun auch die Kontrolle der Institutionen streitig zu machen. Der Podemos-Gründer Pablo Iglesias selbst vertrat in seinem Buch »Disputar la Democracia« die These, die Eroberung der Regierung sei zwar nicht mit der Eroberung der Macht zu verwechseln, aber sei doch immerhin ein Teil gesellschaftlicher Gegenmacht. Und so wäre das auch richtig gewesen: die politische Linke (vielleicht auch eine Linksregierung), als ein Aspekt der Opposition gegen das Kapital und seine internationalen Institutionen (von EZB bis IWF).

Doch von dieser Perspektive hat sich Podemos rasant verabschiedet. Da dieser Prozess charakteristisch ist für das, was Linksparteien widerfährt, sollten wir versuchen, uns über seine Ursachen zu verständigen. Meiner Ansicht nach waren drei Momente entscheidend:

Abkehr von der radikaldemokratischen Gründungsmaxime

Die Bedeutung des 15M beruhte darauf, dass er das Politische gegen den Politikbetrieb verteidigte. In Anbetracht des von Konzerninteressen beherrschten Repräsentationsspektakels formulierte der 15M ähnlich wie die Massen 2001 in Argentinien: »Sie vertreten uns nicht.«

Podemos löste sich ein Stück von dieser Parole und verteidigte die These, dass eine andere Repräsentation möglich sei. Ein Hinweis, der nie ganz falsch ist: Auch radikale Systemkritiker werden wohl zugeben, dass man sich von einem Subcomandante Marcos oder einer Bürgermeisterin der kurdischen HDP »repräsentiert« fühlen kann.

Podemos wollte in diesem Sinne eine direktdemokratische Partei sein: Die Bürger/innen sollten über das Programm entscheiden können, die Zusammensetzung von Listen in offenen und transparenten Vorwahlen erfolgen. Doch die reale Entwicklung wies schon bald in die entgegengesetzte Richtung. Auf dem Gründungskongress in Vistalegre im Oktober 2014 grenzte die Führungsgruppe um Pablo Iglesias andere Strömungen aus und besetzte den gesamten Parteivorstand mit dem eigenen Personal. Eine offene und pluralistische Zusammenstellung der Listen, wie sie es bei den Kommunalwahlen im Mai 2015 (wo die Kandidat/innen einzeln auf die Listenplätze gewählt wurden) gegeben hatte, wurde von der Parteiführung aus Furcht vor der Heterogenität für die landesweiten Parlamentswahlen blockiert. Dazu kam außerdem, dass die Parteispitze seit den Vorwahlen im Sommer fast wöchentlich neue Kandidaten präsentierte, die man aus Publicity-Gründen und an der Basis vorbei in die Liste eingliedert. Am Ende war kaum noch ein Unterschied zur Praxis traditioneller Parteien zu erkennen.

Regierungs- statt Hegemoniewechsel

Noch Anfang 2014 hatte Pablo Iglesias erklärt, dass Veränderungen nicht in erster Linie durch Wahlerfolge, sondern durch neue Hegemonien zustande kommen. Wie aber ändern sich Kräfteverhältnisse? Durch Selbstorganisierung, Proteste, soziale Konflikte usw., die Druck von unten erzeugen und sich zu einer Legitimationskrise der Herrschenden verdichten ... Die Rolle linker Parteien in diesem Prozess ist widersprüchlich: Einerseits sind sie notwendig, um die Kritik an den Verhältnissen sichtbar zu machen, andererseits werden sie im Kampf um Zustimmung ständig dazu verleitet, sich an den bestehenden »Konsens« anzunähern und die herrschende Hegemonie damit zu bekräftigen. New Labour und die Schröder-SPD sind das beste Beispiel hierfür: Ihre Anpassung an den neoliberalen Mainstream brachte sie in den 1990er Jahren an die Regierung, zementierte gleichzeitig aber das neoliberale Regime. Linke Regierungen und linker Reformismus sind also offensichtlich völlig getrennt voneinander zu betrachten und stehen oft sogar in Widerspruch zueinander.

Podemos hat diesen Fehler wiederholt. Die Partei bemüht sich nicht länger, den herrschenden Konsens zu unterminieren. Das letzte Beispiel hierfür sind die Äußerungen von Pablo Iglesias zur spanischen Verfassung: War die Überwindung der (von den franquistischen Eliten 1978 mit Hilfe von Putschdrohungen erzwungenen) Konstitution noch eine zentrale Forderung bei der Gründung der Partei, so spricht Iglesias nun davon, eine Mehrheit im Land sei mit der Verfassung ganz zufrieden und es reiche aus, diese zu reformieren.

Solche Anpassungsleistungen lassen sich auf allen Ebenen beobachten. Podemos drängt in die politische Mitte - ein Euphemismus, der nichts anderes beschreibt als die Hegemonie der Herrschenden. Man schweigt über die Kontinuität des Franquismus in den Staatsapparaten und präsentiert einen führenden Vertreter der Guardia Civil (die diese Kontinuität wie kein anderes Staatsorgan repräsentiert) auf der eigenen Liste. Als das katalanische Parlament im Oktober die Gründung einer Republik und einen verfassunggebenden Prozess beschließt, weist die Podemos-Spitze nicht etwa darauf hin, dass man sich etwas Vergleichbares für ganz Spanien wünsche, sondern spricht von der »unverantwortlichen Show« der Unabhängigkeitsparteien.

Man muss es noch einmal wiederholen: Linke Parteien müssen anders funktionieren als bürgerliche. Es kann ihnen nicht darum gehen, Führungspersonal für den Staat zur Verfügung zu stellen. Ihr Anliegen muss sein, den politischen Konsens infrage zu stellen, der die ökonomischen und gesellschaftlichen Machtverhältnisse absichert, um so dann auch die tieferliegenden Machtstrukturen aufbrechen zu können. Wahlergebnisse sind in diesem Zusammenhang nicht bedeutungslos: Sie sind oft die Voraussetzung dafür, dass die Kritik der Verhältnisse wahrgenommen wird. Aber andererseits verändern sie eben auch keine Gesellschaften. Viel entscheidender ist deshalb, ob linke Parteien Selbstorganisierungsprozesse mittragen und kritische Interpretationen der Wirklichkeit verbreiten - sprich: ob sie eine demokratische Gegenhegemonie mit aufbauen. Linke Politik muss also begreifen, dass sie sozusagen in der Matrix agiert. Parlamente und Regierungen sind im Kapitalismus keineswegs die zentralen Orte der Macht, aber das politisch-repräsentative Feld (ist ähnlich wie die Matrix im gleichnamigen Film) einer der wichtigsten Orte, an dem sich das Bewusstsein der Gesellschaft von sich selbst formiert.

Die populistische Hypothese ist falsch

Man kann infrage stellen, ob Podemos im Laclauschen Sinne jemals populistisch war. Der 2014 verstorbene argentinische Theoretiker war der Ansicht, es sei in Anbetracht der gesellschaftlichen Fragmentierung Aufgabe der Linken, kollektive politische Subjekte zu schaffen. Da nämlich aus der Ausbeutung offensichtlich nicht automatisch ein politisch handelndes Proletariat entsteht, muss das subalterne Subjekt »das Volk« durch den politischen Diskurs der Linken konstituiert werden.

Bei der Politik von Podemos spielt der Aufbau kollektiver Milieus aber gar keine Rolle. Die Parteispitze konzentriert sich auf politisches Marketing, während diejenigen, die eine gesellschaftliche Partei aufbauen wollten - also eine Organisation, die als sozialer Ort dient - systematisch ausgegrenzt wurden (wohl auch, weil viele von ihnen aus dem Trotzkismus kommen).

Aber auch ein Populismus im Sinne Laclaus ist problematisch. Es stimmt zwar, dass der Linkspopulismus - vor allem der Chavismus - die politischen Verhältnisse in Lateinamerika ein Jahrzehnt lang geprägt hat. Aber progressiv an ihm war nicht seine populistische Rhetorik, sondern die soziale Verankerung in den unteren Klassen. Der Populismus von Laclau und Chantal Mouffe vertritt einen Gramscianismus ohne Marx: Diskurs und Politik werden als Mittel zur Erlangung von Hegemonie aufgewertet, ökonomische Analysen hingegen fast bedeutungslos. Das erklärte Ziel lautet, mit Hilfe eines mehrheitsfähigen Diskurses möglichst viele Menschen hinter einem Zeichen, dem berühmten »leeren Signifikanten« (meistens einem Führer und dem Nationaldiskurs), zu versammeln. Doch auch wenn der Führerkult mobilisiert, wohnt ihm doch eine gefährliche Tendenz zur Entpolitisierung inne.

In Venezuela zeigt sich diese Ambivalenz sehr deutlich. Der politisch eher diffuse Aspekt des Chavismus - die Verwendung nationaler Symbole - hat viele mitgenommen, denen es in erster Linie um persönliche Aufstiegsmöglichkeiten ging. Was den Chavismus hingegen eindeutig progressiv verortete, war sein »materialistischer« Anker - das entschlossene Eintreten für die sozial Ausgegrenzten. Progressiv war der Chavismus nicht wegen seines Populismus, sondern wegen seines Klassenprojekts.

Auch bei Podemos zeigt sich das Problem populistischer Ambivalenz. Die Tatsache, dass man nicht mehr von ökonomischen Eliten, sondern von der »politischen Kaste« gesprochen hat, hat sich im Nachhinein als doch nicht so intelligent erwiesen. Gegen die »korrupte politische Kaste« kann nämlich auch die Elitenpartei Ciudadanos Wahlkampf führen.

Ausblick

Podemos wird bei den Wahlen im Dezember vermutlich etwa so viele Stimmen bekommen, wie noch 2013 Izquierda Unida vorhergesagt worden waren - und das bei einem abgespeckten Wahlprogramm. Nichtsdestotrotz ist in diesem Jahr einiges passiert, an dem Podemos aktiv beteiligt war. Basisdemokratisch zusammengestellte Linkskandidaturen haben die Rathäuser der meisten Großstädte erobert. In Navarra, bislang Bastion der katholischen Ultrarechten, haben soziale Bewegungen, linke und baskische Unabhängigkeitsparteien damit angefangen, die institutionelle Macht der Rechten zu brechen. Die Bewegung gegen Zwangsräumungen PAH hat eine neue Mobilisierungswelle gestartet. Und in Katalonien steht nach wie vor die Gründung einer Republik auf der Tagesordnung.

Wir sind darauf dressiert, uns mit Siegern zu identifizieren. Doch wir sollten lernen, unsere Neugier auf die Niederlagen zu richten - denn gerade aus ihnen lässt sich lernen. Die Entwicklung von Podemos scheint mir besonders wertvoll. Sie hat bewiesen, dass die Phrasendrescherei der alten Linken nicht alternativlos ist, Politik begeistern kann und es zentral um Demokratisierung geht.

Gleichzeitig zeigt sie aber auch, dass eine Transformationslinke (auch eine reformistische) folgendes braucht, um von der Stelle zu kommen: 1. Gegenmachtstrategien statt einer Fixierung auf Wahlen, 2. kollektive Strukturen und eine »Feminisierung der Politik« statt Personenkult, 3. gesellschaftliche Parteien statt Wahlvereine, 4. eine soziale Verankerung in den Unterklassen (den »65 Prozent«) statt diffuser National- und Bürgerrhetorik und vor allem 5. Aufrichtigkeit statt funktionalem Taktizismus.

Das Projekt Emanzipation muss grundlegend anders sein als bürgerliche Politik: der Solidarität mit Schwächeren bedingungslos verpflichtet, nach innen und außen demokratisierend, antiautoritär, kollektiv. Wer das für eine Schwäche hält, hat schon verloren.

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