Klimaflüchtling oder »Climate Warrior«

Wer jetzt schon Umsiedlungen vorbereitet, gibt den Kampf gegen die Erderwärmung verloren

  • Angela Oels
  • Lesedauer: 4 Min.
Während manche Wissenschaftler und Finanzinstitutionen bereits über klimawandelbedingte Umsiedlungen diskutieren, fordern Betroffene rechtzeitige Klimaschutzanstrengungen.

In vielen Horrorszenarien einer Welt, die sich stärker als um zwei Grad Celsius erwärmt, spielt der sogenannte Klimaflüchtling eine prominente Rolle. Dabei handelt es sich um Menschen, die ihre Lebensgrundlage durch Auswirkungen des Klimawandels verlieren und daher gezwungenermaßen oder freiwillig migrieren. Ob es wirklich dazu kommt, hängt in erster Linie von politischen Faktoren ab. Armut macht Menschen erst verwundbar für den Klimawandel. Die Entscheidung zur Migration hängt von vielen Faktoren ab, das Klima ist nur einer und in den seltensten Fällen der wichtigste.

Bei der Untersuchung der zahlreichen politischen und wissenschaftlichen Publikationen zu klimawandelbedingter Migration lassen sich drei verschiedene Erzählungen identifizieren, die allesamt problematisch sind. In der ersten Erzählung wird Angst vor »Millionen von Klimaflüchtlingen« geschürt, die angeblich die Industrieländer »überschwemmen« werden. Schon im Jahr 2007 warnte Greenpeace Deutschland vor 200 Millionen Klimaflüchtlingen bis 2040. Die Zahlen gehen auf eine inzwischen wissenschaftlich diskreditierte Studie von Norman Myers zurück. Es gibt derzeit keine haltbaren Zahlen über Klimawandel und Migration, daher hat der Weltklimarat IPCC in seinem Sachstandsbericht von 2014 im Kapitel über Migration keine verwendet. Problematisch an diesem Diskurs ist, dass er Klimaflüchtlinge zur Gefahr stilisiert. Viel schlimmer ist aber, dass er faktisch nicht richtig ist: Nur ein Bruchteil der möglicherweise betroffenen Menschen in den Entwicklungsländern verfügen überhaupt über die Ressourcen, um den Weg in die Industrieländer zu schaffen. Die meisten müssen notgedrungen vor Ort ausharren.

Angela Oels

Angela Oels ist Gastprofessorin für Internationale Klimapolitik an der Universität Lund (Schweden).

Eine zweite Erzählung appelliert an unser Mitgefühl: Wir sollten Klimaflüchtlinge willkommen heißen und ihnen Asyl gewähren. Insbesondere diejenigen, die es nicht aus eigener Kraft zu uns schaffen, sollten wir vorausschauend evakuieren und umsiedeln. Organisationen wie die New Economics Foundation in London, aber auch Wissenschaftler wie der Politologe Frank Biermann von der Freien Universität Amsterdam fordern, einen Klimaflüchtlingsstatus zu schaffen, entweder durch Erweiterung der Genfer Flüchtlingskonvention oder ein Protokoll zur Klimarahmenkonvention. Problematisch daran ist, dass über die Köpfe der Betroffenen hinweg deren »Rettung« organisiert werden soll. Interviewt man Menschen in gefährdeten Regionen, z.B. auf den kleinen Inselstaaten, so stellt man schnell fest, dass sie gar kein Interesse an einem Flüchtlingsstatus haben. Sie wollen auf ihren Inseln bleiben. Ihr Hauptanliegen ist es, die Industrie- und Schwellenländer endlich zu radikalen Emissionseinsparungen zu bewegen. Sollte das tatsächlich für einige zu spät kommen, so wollen sie über Entschädigung und ein Recht auf Arbeitsmigration verhandeln. Ein Flüchtlingsstatus ist ihnen zu wenig.

Eine dritte Erzählung stellt Migration quasi als Lösung für das Klimawandelproblem dar. Dies findet sich in Dokumenten der Weltbank, der Internationalen Organisation für Migration und der Asiatischen Entwicklungsbank. Dieser Diskurs stellt fest: Ein gefährliches Ausmaß an Klimawandel sei unvermeidlich geworden - und damit leider auch die Umsiedlung von Menschen aus tieferliegenden Küstenregionen. Die Betroffenen sollen die Hauptrolle in ihrer Rettung spielen. »Hilfe zur Selbsthilfe« ist der Slogan der Weltbank. Mit etwas Anschubfinanzierung von der internationalen Gemeinschaft sollen sich die Betroffenen selbst in Sicherheit bringen, möglichst durch Umsiedlung innerhalb ihres Landes oder in ein Nachbarland. Problematisch an dem Diskurs ist, dass der Prozess der Enteignung dieser Menschen naturalisiert wird: Gefährlicher Klimawandel kommt wie eine Naturgewalt über uns und Migration ist eine rationale Anpassungsstrategie, wie uns auch der »Foresight Report« der Wissenschaftsbehörde der britischen Regierung versichert. Migration sei schon immer eine der Strategien gewesen, mit denen sich Menschen an ein sich wandelndes Klima angepasst haben.

Der Diskurs über Klimaflüchtlinge ist somit hochpolitisch. Die Betroffenen weigern sich, ihr vermeintliches Schicksal zu akzeptieren. Im Oktober 2014 blockierten Aktivisten von mehreren pazifischen Inselstaaten mit ihren handgemachten Kanus den größten Kohlehafen Australiens, um gegen die geplante Verdopplung der Exporte zu protestieren. Für die Inselbewohner ist klar: Es handelt sich um eine Auseinandersetzung zwischen zwei geopolitischen Zukunftsentwürfen. Werden die Inseln als verloren erklärt, so bezeichnet man deren Bewohner vorauseilend als Klimaflüchtlinge. Die Aktivisten setzen dem ihr Konzept des »Climate Warriors« entgegen. Sie kämpfen für eine Zukunft, in der die kleinen Inselstaaten durch radikalen Klimaschutz noch gerettet werden. Die Klimaverhandlungen in Paris bieten die nächste Gelegenheit, politisch zu handeln.

Bisher in unserer Serie erschienen: Klimafinanzen (7. 11.), sozial-ökologische Transformation (11. 11.), Klimawandel und Ozeane (14. 11.), Klimaproteste (18. 11.), Vorreiter Deutschland? (21. 11.), Landwirtschaft (25. 11.).

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