nd-aktuell.de / 01.12.2015 / Politik / Seite 10

Freihandelsabkommen mit dem Zwang zur Marktöffnung

Ecuador droht per Vertrag von der EU über den Tisch gezogen zu werden / Erbitterte Proteste vor allem der Indigenenorganisation

Hanna Penzer, Brüssel
Sind die aktuellen Freihandelsabkommen südamerikanischer Staaten mit der EU eine »moderne« Form der Ausbeutung? Aktuell droht sie Ecuador, wenn es sich den neoliberalen Vorgaben Brüssels beugt.

In Südamerika läuft für die Handelspolitiker der EU derzeit alles nach Plan. Am Donnerstag vergangener Woche machten die Abgeordneten des Europaparlaments den Weg für das Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Andenrepublik Ecuador frei. Die Entschließung zur Aufnahme Ecuadors in das bereits bestehende Handelsabkommen zwischen der EU sowie Kolumbien und Peru wurde mit 499 Ja-Stimmen gegen 61 Ablehnungen bei 86 Enthaltungen angenommen.

Dem Land, das von der Ausfuhr von Bananen, Garnelen, Kakao und kleinerer Mengen Erdöl lebt, blieb zuletzt kein großer Spielraum gegenüber den Freihandelsforderungen der EU. Nachdem Bolivien 2008 und Ecuador 2009 den Verhandlungstisch über ein Abkommen zwischen den vier Mitgliedern der Andengemeinschaft und der Europäischen Union geräumt hatten, unterzeichneten 2012 die beiden Nachbarländer Kolumbien und Peru auf bilateralem Wege Freihandelsabkommen mit Brüssel.

Trotz noch ausstehender Ratifizierung in mehreren Mitgliedsländern der EU und gegen entschiedene Proteste angesichts der brutalen Unterdrückung, denen sich Gewerkschaften, Kleinbauern und ethnische Minderheiten in Kolumbien ausgesetzt sehen, traten die Verträge schon 2013 »übergangsweise« in Kraft. Nachdem im Dezember jenes Jahres EU-Handelskommissar Karel de Gucht Ecuador Zollvorteile für den Zugang seiner Güter zum europäischen Markt strich, kehrte die Regierung unter ihrem linken Präsidenten Rafael Correa innerhalb eines Monats an den Verhandlungstisch zurück.

Das Marktöffnungsabkommen, das 2016 in Kraft treten soll, trifft auf den erbitterten Widerstand der gut organisierten Indigenenbewegung. Sie fürchten, dass Liberalisierungsauflagen, Patentschutzklauseln und Investitionen im Bergbau den Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, Quellwasser, kostengünstigen Medikamenten und Saatgut bedrohen. Dabei berufen sich die Aktivisten der Konföderation indigener Nationalitäten Ecuadors (CONAIE) auf die 2008 unter Correa verabschiedete Verfassung, die das Recht auf Land und Wasser festschreibt, Patente auf Kulturpflanzen ausschließt und stattdessen das Bürgerrecht auf Widerstand billigt.

Die Stellungnahme des EU-Parlaments, die unter Federführung von Helmut Scholz (LINKE) ausgearbeitet wurde, fordert die EU-Exekutive explizit auf, die Bemühungen Ecuadors um einen nachhaltigen Entwicklungsweg nicht zu torpedieren. Vor einer endgültigen Ratifizierung verlangen die EU-Abgeordneten deshalb die Vorlage von Kooperationsabkommen zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung Ecuadors und zum Schutz der außergewöhnlich artenreichen Regenwaldgebiete Ecuadors.

Ähnliche Initiativen hatte 2012 bereits der niedersächsische Europa-Abgeordnete Bernd Lange (SPD) vor der Abstimmung über den Handelsdeal mit Kolumbien und Peru angestoßen. Um dem Abkommen eine breite Mehrheit in Straßburg zu verschaffen, mussten die Regierungen in Bogotá und Lima Maßnahmenkataloge zum Schutz von Arbeitnehmern und Minderheiten vorlegen. Im kommenden Jahr soll eine Delegation von Parlamentariern die Fortschritte vor Ort erstmals überprüfen.

Für die Bewohner von Buenaventura, der wichtigsten Hafenstadt Kolumbiens, brachte die Freihandelspolitik ihrer Regierung bisher alles andere als Fortschritte. Von den nach Schätzungen kolumbianischer Behörden landesweit 5,7 Millionen Binnenflüchtlingen, stammen alleine 147 000 Menschen aus der etwa 290 000 Einwohner zählenden Stadt am Pazifik.

Die überwiegend schwarze Bevölkerung in den Hafenvierteln, von denen viele vom Fischfang leben, werden von brutalen Banden terrorisiert. Das Afrokolumbianische Solidaritätsnetzwerk (ACSN) veröffentlichte vergangenen Dienstag angesichts von Morddrohungen gegen den örtlichen Gemeindevertreter Danelly Estupiñan einen Hilfsappell. Nach Treffen mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, erhielt Estupiñan unmissverständliche Drohungen. Hinter diesen sowie bereits erfolgten Vertreibungen sieht ACSN die Betreiberfirma des Hafens. In dessen Ausbau- und Modernisierungsprojekt »Master Plan Buenaventura 2014-2050« sei für die Fischer von Buenaventura kein Platz.