Überfälliges Umdenken

Für Malte Daniljuk sind nicht pauschal »die USA« oder »der Westen« an der sogenannten Flüchtlingskrise Schuld

  • Malte Daniljuk
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach den Ursachen für die anhaltende Orgie der Zerstörung im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika zu suchen, bedeutet auch, den kategorischen Singular zu vermeiden. »Die USA« und »der Westen« sind für Situation vor Ort pauschal so verantwortlich, wie sie es nicht in ihrer Gesamtheit sind. Bis in die NATO sind Entscheidungen das Ergebnis von unterschiedlichen Interessen. Um die Spielräume realistisch einzuschätzen und potenzielle Bündnispartner zu identifizieren, kann sich linke und Friedenspolitik keine pauschalen Aussagen leisten.

Alle Beteiligten der bisherigen nd-Debatte verweisen auf ökonomische Interessen. Bisher realisieren die aktuellen Kriege keine volkswirtschaftlichen Vorteile, wie Imperien sie aus international ungleicher Entwicklung zu ziehen pflegen. »Der Westen« versucht beispielsweise nicht, sich Erdölinseln wie Libyen und den Südsudan mit Hilfe eines neuen Ordnungsmodells anzueignen.

Wie sehr die pauschale Rede von »den USA« in Widerspruch zur Realität geraten kann, zeigt das Desinteresse, das die Regierung unter Barack Obama der Region entgegenbringt. In ihrer aktuellen Nationalen Sicherheitsstrategie heißt es: »Unsere Abhängigkeit von ausländischem Öl liegt auf dem tiefsten Niveau seit 20 Jahren - und sie fällt weiter.« In dem Programm spielen historische Interessen im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika keine Rolle.

Gleichzeitig betont Obama, dass die Mittel der internationalen Politik sich weg von der direkten militärischen Präsenz hin zu wirtschaftspolitischen Maßnahmen und der »verstärkten Verantwortung regionaler Mächte« verschieben. Auf die Bedeutung wirtschaftlicher Instrumente verwies an dieser Stelle bereits Ingar Solty. Hier ist ein Umdenken überfällig: Saudi-Arabien und die Türkei sind für die Kriege in der Region inzwischen sehr viel stärker verantwortlich, und ihre Interessen sind nicht deckungsgleich.

Dies gilt auch für die Verhältnisse innerhalb der Europäischen Union oder sogar der NATO. Für Linke bedeutet dies anzuerkennen, dass die Bundesregierung einem Teil der NATO mit den Minsk II-Verhandlungen einen Riegel vorgeschoben hat, als sie versuchten, die Lage in der Ukraine militärisch zu eskalieren. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (beide SPD) besuchten nach Abschluss der 5+1-Gespräche schneller Teheran, als die Tinte auf den Verträgen trocknen konnte. Genauso machen inzwischen weder Bundeskanzleramt noch Außenministerium einen Rücktritt des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zur Vorbedingung für eine politische Lösung in Syrien.

Peter Wahl forderte in seinem Text einen »aufgeklärten Antiimperialismus«. Zu den Ergebnissen der Aufklärung gehört unter anderem eine moderne Vorstellung von Gesellschaftstheorien. Anders als Religionen bieten Theorien keine zeitlosen Antworten, sondern sie werden in einem permanenten Prozess von Beobachtung und Anpassung überprüft. Ihre Aufgabe ist es nicht, ihren Anhängern eine Identitätsnische zu bieten, sondern ein Mittel, das dabei hilft, Politik im Sinne der eigenen Werte und Ziele zu gestalten. Theorien sind Instrumente, keine Haltungen.

Als funktionierendes Instrument muss ein aufgeklärter Antiimperialismus berücksichtigen, dass nur bestimmte Sektoren des Kapitals und des Westens vom Zerstörungswerk in den Regionen um Europa herum profitieren. Diese »Partei übergreifende Kriegsfraktion« innerhalb des American Empire bezieht ihre Einkünfte zwar auch aus irakischem Öl, Krediten und Wiederaufbau, vor allem aber aus Steuergeldern für den weltweiten »Krieg gegen den Terror«. Das bedeutet: auf Kosten vieler anderer Wirtschaftssektoren.

Die Folge ist, dass linke Politik - Stichwort TTIP - nicht alleine steht mit ihrem Protest gegen eine aggressivere transatlantische Integration. Stefan Liebich betonte, wie wichtig es aktuell ist, sich auf einen Friedensplan für Syrien zu verständigen. Inzwischen liegt dieser Plan vor, nicht zuletzt wegen - auch diese Realität muss Theorie zur Kenntnis nehmen - des militärischen Eingreifens durch die Russische Föderation. Mit Blick auf mögliche Nachkriegsszenarien wird sich erweisen, wer ein Interesse an stabilen und demokratischen Institutionen in der Region hat. Die westliche Kriegsfraktion und die Regime am Golf werden es sicher nicht sein.

Die bisher erschienenen Debattenbeiträge können unter dasND.de/Imperialismus nachgelesen werden.

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