»Kopflos« in den Syrien-Einsatz?

»Tornados« der Bundeswehr nur eingeschränkt nutzbar / Bundestag berät über Kriegseinsatz / LINKE lehnt Syrien-Mandat geschlossen ab / Grünenfraktion mit großer Mehrheit dagegen / CDU-Außenpolitiker Kiesewetter für Ausweitung des Einsatzes

  • Lesedauer: 8 Min.

Update 16.40 Uhr: SPD-Linke gegen Syrieneinsatz
Die SPD-Linke hat sich in einer Stellungnahme gegen den Einsatz der Bundeswehr in Syrien ausgesprochen. »Ein militärischer Einsatz wird nicht die Ursachen und damit die Existenz des terrors beseitigen«, heißt es in einer Erklärung des Bundesvorstandes vom Forum Demokratische Linke 21 (DL21). Zur Begründung heißt es, es liege weder ein robustes mandat der Vereinten Nationen vor, noch hat Frankreich ein »schlüssiges Gesamtkonzept«, welches die genauen Ziele der Militärintervention definiere. Offen sei zudem, ob es am Ende tatsächlich bei Luftangriffen bleibe oder ob es nicht Bodentruppen zum Einsatz kommen, wie Experten immer wieder prophezeien.

»Der Krieg in Afghanistan und im Irak, die ebenfalls mit dem Kampf gegen Terror begründet wurden, haben gezeigt, dass es mit einem militärischen Einsatz keine Perspektive für einen geordneten Friedensprozess gibt«, so die SPD-Linke.

Trotz der Bedenken zeichnet sich in der SPD-Fraktion eine breite Mehrheit für den Bundeswehreinsatz ab. Bei einer Probeabstimmung in der Fraktionssitzung votierten am Dienstag 13 Abgeordnete gegen die Pläne, zwei enthielten sich, wie Teilnehmer berichteten.

Update 14.50 Update: Bundestag debattiert Syrien-Einsatz
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) haben im Bundestag für den Einsatz der Bundeswehr gegen den Islamische Staat in Syrien geworben. Er verspreche, dass die Bundesregierung sich mit ganzer Kraft für eine politische Lösung in Syrien einsetzen werde, sagte Steinmeier am Mittwoch vor dem Parlament. »Niemand glaubt daran, dass der Syrien-Konflikt am Ende militärisch zu lösen ist.«

Wenn ein politischer Prozess in dem Bürgerkriegsstaat aber Erfolg haben solle, »dann muss in Syrien etwas übrigbleiben, was noch befriedet werden kann und für das wir eine Zukunft schaffen«, fügte der Außenminister hinzu. Daher müsse die Ausbreitung des IS beschränkt werden.

»Alles was wir tun, tun wir nicht beschränkt auf eine militärische Logik, sondern eingebettet in einen politischen Prozess«, sagte Steinmeier. »Unser militärisches Engagement ist Teil unserer Politik gegen IS, aber ganz sicher nicht Ersatz für Politik.«

LINKE und Grüne kritisierten das Vorgehen der Bundesregierung und warnten vor einer Verwicklung in einen langen Konflikt. »Haben Sie bei ihrer Entscheidung, ein solches Mandat vorzulegen, die Erfahrungen in Afghanistan und im Irak berücksichtigt?«, fragte der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele. Er warnte davor, mit dem Einsatz die »gleichen Fehler« zu begehen.

Terrorismus lasse sich nicht mit Bomben bekämpfen, sagte LINKEN-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Die LINKE werde bei der Abstimmung im Bundestag am Freitag gegen ein »neues Abenteuer« der Bundeswehr votieren. Bartsch kritisierte, es fehle eine Perspektive für Syrien und den Irak. »Wenn man in ein solches Kriegsabenteuer geht, muss zu Beginn die Frage beantwortet werden, wie kommt man da wieder raus.«

Der Einsatz sei kein Abenteuer, sondern »bitterer Ernst«, wies von der Leyen die Kritik zurück. Die Opposition hinterfragte zudem die rechtliche Grundlage des Einsatzes. Die Verteidigungsministerin sagte, das Mandat stehe auf einer »völkerrechtlich und verfassungsrechtlich tragfähigen Basis«.

Von der Leyen und Steinmeier beriefen sich auf die Charta sowie Resolutionen der Vereinten Nationen und ein Beistandsgesuch Frankreichs unter Berufung auf den EU-Vertrag. »Das ist der Rahmen«, sagte von der Leyen. »In Frankreich wurde ganz Europa getroffen und deswegen muss Europa gemeinsam mit Frankreich eine Antwort geben«, erklärte Steinmeier.

»Tornados« nur zur Hälfte einsatzbereit

Berlin. Die Bundeswehr will »Tornado«-Flugzeuge in den Luftkrieg gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) schicken - doch nicht einmal jeder zweite Kampfjet soll tatsächlich einsatzbereit sein. Nach einem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Ministeriumsbericht zum Zustand der Hauptwaffensysteme sind bei der Luftwaffe von 93 angeschafften »Tornados« 66 in Betrieb - und davon wiederum nur 29 einsatzbereit (44 Prozent). Das sind noch weniger als bei der entsprechenden Untersuchung vor einem Jahr. Damals waren noch 38 Jets für einen Einsatz verfügbar. Eingeplant für den Anti-Terror-Einsatz sind jetzt sechs Aufklärungs-»Tornados«.

Darauf weist Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hin. Sie sieht trotz der Mängel bei vielen »Tornado«-Flugzeugen keine Probleme für den geplanten Militäreinsatz gegen den IS. Die Ministerin sagte am Mittwoch im ARD-»Morgenmagazin«: »30 «Tornados» sind einsatzbereit, und wir brauchen davon sechs. Das heißt, wir haben einen breiten Spielraum, der vorhanden ist.« Ähnlich äußerte sich der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold: Es sei »überhaupt kein Problem, sechs in den Einsatz zu bringen«, sagte er dem SWR.

An diesem Mittwoch berät der Bundestag erstmals über den geplanten Syrieneinsatz von bis zu 1200 Soldaten. »Es wird ein langer Einsatz, und es wird ein schwerer und gefährlicher Einsatz. Darüber sollten wir uns keiner Illusion hingeben«, sagte von der Leyen. Die exakte Dauer hänge vom politischen Prozess ab, in den der militärische Einsatz eingebettet sei.

Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann rechnet mit einem langen Kampf. »Ich glaube, dass wir uns auf viele Jahre einstellen müssen«, sagte Oppermann am Mittwoch im Deutschlandfunk. Den IS-Terror werde man nicht allein mit Luftangriffen erfolgreich bekämpfen können, dazu brauche man eine Gesamtstrategie.

Offenbar gehen die Überlegungen zur Stratgie bereits weiter als bisher bekannt. Der Präsident des Reservistenverbandes der Bundeswehr und CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter brachte bereits einen Einsatz der Bundeswehr im Kampf gegen den IS über Syriens Grenzen hinaus ins Gespräch. »Die deutsche Luftwaffe, Marine und auch deutsche Polizisten können dabei helfen, Jordanien, den Libanon und Libyen zu stabilisieren«, sagte Kiesewetter in einem am Mittwoch veröffentlichten Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Der Chef der Bundeswehr-Reservisten rechnet nach eigenen Worten außerdem »fest damit, dass die Bundeswehr mehr als 1200 Soldaten in den Anti-IS-Kampf schicken wird«. Zur Bekämpfung des IS in Libyen werde die NATO auch Bodentruppen schicken müssen. Kiesewetter schloss deutsche Bodentruppen dabei allerdings generell aus.

Der Bericht zu den Waffensystemen steht an diesem Mittwoch auf der Tagesordnung des Bundestags-Verteidigungsausschusses. Die mangelnde Einsatzbereitschaft wird in dem 81-seitigen Papier unter anderem auf die »mangelnde Verfügbarkeit verschiedener Ersatzteile« zurückgeführt. Die »Tornados« sind zwischen 23 und 34 Jahre alt und gelten als Auslaufmodelle.

Aber auch beim Nachfolger »Eurofighter« hat sich die Einsatzbereitschaft im Vergleich zum letzten Bericht nicht verbessert, sondern von 57 auf 55 Prozent verschlechtert. Von den besonders anfälligen »Transall«-Transportflugzeugen sind 57 Prozent einsatzbereit. Angestrebt wird eine Einsatzbereitschaft von mindestens 70 Prozent.

Im vergangenen Jahr hatte die Bestandsaufnahme zu einer großen Debatte über den Zustand der Bundeswehr-Ausrüstung geführt. »Die Lage der fliegenden Systeme bleibt unbefriedigend«, urteilt Generalinspekteur Volker Wieker in dem aktuellen Bericht. 117 Maßnahmen seien ergriffen worden, und 5,6 Milliarden Euro sind für einen Zeitraum von zehn Jahren dafür veranschlagt. »Rasche Erfolge konnten nicht erwartet werden«, schreibt Wieker in dem Papier, über das auch die »Bild am Sonntag« schon berichtete. Die Maßnahmen würden erst mittelfristig Wirkung entfalten. »Dennoch ist es gelungen, die Entwicklung der materiellen Einsatzbereitschaft zu stabilisieren und eine Trendumkehr in wesentlichen Bereichen zu realisieren.« Kritiker merken allerdings immer wieder an, dass entsprechende Berichte über Mängel bei der Bundeswehr auch dazu dienen können, das Militär weiter aufzurüsten.

Opposition sagt NEIN zu Militäreinsatz

Der Verteidigungsexperte Alexander Neu (LINKE) bezweifelt indes, dass die geplanten Investitionen von 5,6 Milliarden Euro in die Waffensysteme der Luftwaffe überhaupt reichen. »Geradezu erstaunlich ist, dass angesichts dieses Zustands wieder viele Milliarden Steuergelder in neue Waffensysteme wie Drohnen oder Meads (Raketenabwehrsystem) verschwendet werden sollen«, sagte er der dpa.

Auch die Grünen erklärten, dass die nun benannten Probleme nicht wirklich neu seien, sagte der deren Verteidigungsexperte Tobias Lindner. »Es ist ein klares Verfehlen, dass diese über lange Zeit nicht erkannt worden sind und zusätzlich bei der Beschaffung von Ersatzteilen gespart wurde.«

Neben den »Tornados« sollen ein Tankflugzeug und eine Fregatte zum Anti-IS-Einsatz kommen. Bereits am Freitag will das Parlament entscheiden. Eine Mehrheit von Union und SPD gilt als sicher. Die Linksfraktion lehnt den Einsatz geschlossen ab. Die Grünen äußerten sich ebenfalls mehrheitlich kritisch. Bei einer Probeabstimmung in der Fraktion votierten nach Angaben aus Fraktionskreisen am Dienstag 41 Abgeordnete mit Nein und nur vier mit Ja. Es gab eine Enthaltung.

Vor der Sitzung hatte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt beklagt, statt des jetzt geplanten Militäreinsatzes werde eine politische Gesamtstrategie gebraucht. Zudem fehle eine klare Rechtsgrundlage für ein militärisches Vorgehen.

Mit einem eigenen Antrag unterstreicht die Linksfraktion indes ihr Nein zu einem Kriegseinsatz. Militärische Einsätze sollen demnach als Mittel im Kampf gegen den Terrorismus ausgeschlossen werden. Stattdessen solle mit den »rechtsstaatlichen Mitteln der polizeilichen Strafverfolgung vorgegangen werden«.

Zudem kritisierte die LINKE in ihrem Antrag die Bundesregierung, den Bundestag nicht umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über den geplanten Einsatz informiert zu haben. Die regierung müsse sich dafür einsetzten, dass der von Frankreich ausgeprochene EU-Bündnisfall zurückgenommen werde.

Dem Mandatsentwurf zufolge sollen die deutschen Soldaten unter anderem mit Tornados Aufklärungseinsätze fliegen und mit einer Fregatte helfen, einen französischen Flugzeugträger zu beschützen. Auch will Deutschland den Kampf gegen den IS mit Luftbetankung von Kampfjets unterstützen. Das Mandat für den dann größten aktuellen Auslandseinsatz der Bundeswehr mit bis zu 1200 Soldaten soll zunächst für ein Jahr bis Ende Dezember 2016 gelten.

Die Bundesregierung will dann schon in der nächsten Woche mit der Stationierung von »Tornados« im türkischen Incirlik beginnen. Agenturen/nd

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