Hausarrest am Menschenrechtstag

  • Eva Bulling-Schröter
  • Lesedauer: 3 Min.
Ohne Menschenrechte ist ein Klimaabkommen eigentlich ein Unding. Doch sollte man mit dem Finger nicht nur auf die bösen Saudis zeigen. In Paris stehen über 20 KlimaaktivistInnen unter Hausarrest.

Ausgerechnet im Mutterland der Menschenrechte. Ausgerechnet im Land der Republik, Land der Revolution gegen aristokratische Willkürherrschaft. Ausgerechnet am Internationalen Tag der Menschenrechte werden in Frankreich die bürgerlichen Rechte weiter mit Füßen getreten. Nach einem langen Konferenztag in kleinen Sitzungsräumen, den endlosen Hallen von Le Bourget, langen Diskussionen über den Verhandlungspoker zwischen den »Parties« eines künftigen Klimaabkommens fahre ich zum Unterstützerkomitee verhafteter KlimademonstrantInnen.

Gleich um die Ecke das »Bataclan«. Vorm überfallenen Konzertsaal Blumenberge, Briefe, Trikoloren und Gedenkkränze. Der Verkehr staut sich, als wolle die Blechlawine den Opfern der islamistischen Angreifer ihre Trauer kundtun. »Die Attentäter waren junge Leute, ihr soziales und geistiges Elend wurde von Terroristen ausgenutzt«, erklärt der Taxifahrer. Und Krieg ist die falsche Antwort. »Jeder tote Muslim ist Gratiswerbung für die Terroristen«. Auf Arabisch gäbe es ein Sprichwort: »Eine falsche Antwort auf eine Verletzung kann oft noch viel schlimmer sein als diese«.

Im CICP, einem alternativen Ort des Protestes, erklärt uns das juristische Unterstützerteam den Ernst der Lage für KlimaaktivistInnen. Sie wollen unerkannt und ungenannt bleiben, aus Angst vor Repression. Über 20 Männer und Frauen seien in ganz Frankreich unter Hausarrest, wird mit erzählt. Ganz zu schweigen von den über 300 MuslimInnen, die im Zusammenhang mit der Terroristenjagd hinter Gittern sitzen. Möglich macht dies der dekretierte Ausnahmezustand, der bis zum Ende der Konferenz am Sonntag gelten soll. Jeden Tag müssen die Betroffenen einmal quer durch die Stadt. Und sich bei den Behörden melden. Viele hätten bereits ihre Jobs verloren. Darunter einer, der bisher am Flughafen gearbeitet hat: Hochsicherheitszone, nichts für Hausarrestler. Woher die Miete kommen soll, egal. Dabei kosten in Paris 15 Quadratmeter nicht selten 800 Euro im Monat. Und nicht in einem Luxusquartier, in normalen Stadtvierteln. Klimademos in der Stadt bleiben weiter verboten. Zuletzt war sogar auf dem Konferenzgelände ein Mann mit Elektro-Teasern zu Fall gebracht worden: Er hatte den Zuruf der Sicherheitskräfte nicht verstanden.

Auch im Klimavertrag sieht es nicht gut aus für die Menschenrechte. Im aktuellen Entwurf steht die Wahrung der Menschenrechte bisher nur in der Präambel. Eine Erwähnung im juristisch wichtigen Teil steht weiter in Klammern. Kann also in den kommenden 36 Stunden noch getilgt werden. Vor allem die Saudis wollen keine Referenz, haben sich aber für »Rechte von Menschen unter Besatzung« stark gemacht: Gemeint sind die Palästinenser. Und während sie das fordern, schmeißen ihre Kampfflugzeuge Bomben auf Jemen.

Nach einem vollen Tag fahre ich zurück aufs Konferenzgelände. Das Plenum soll über den neuesten Entwurf beraten, der mir noch nicht vorliegt. Ob die Menschenrechte im Klimaabkommen den Tag der Menschenrechte überlebt haben, all das werde ich wohl erst morgen wissen.

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