Abwehr ist keine Lösung

Der Politologe Jean-Yves Camus über die Lehren aus der Wahl für Frankreichs Linke

  • Lesedauer: 3 Min.
Jean-Yves Camus ist Politikwissenschaftler und forscht am 
Institut für Internationale Beziehungen und Strategien (IRIS). Der 57-Jährige ist zudem Direktor des Observatoriums der politischen Radikalitäten (ORAP) bei der der Parti Socialiste nahe 
stehenden Stiftung Jean Jaurès 
in Paris. Über die Schlussfolgerungen aus der Regionalwahl in Frankreich sprach mit ihm 
Ralf Klingsieck.

Was sind die zentralen Erkenntnisse dieser französischen Regionalwahl?

Der erste Wahlgang brachte der rechtsextremen Front National (FN, d. R.) ihr historisch höchstes Ergebnis mit nahezu 28 Prozent der Stimmen. Dafür machte sich die FN mit populistischen Losungen die breite Unzufriedenheit mit der Politik der Regierung zunutze. Im zweiten Wahlgang hat sich wieder einmal mehr die »Republikanische Front« linker wie rechter Kräfte bewährt, um den siegreichen Einzug der FN in die Regionalräte zu verhindern.

Warum sind so viele Menschen der Bitte der Führung der Parti Socialiste (PS) nachgekommen und haben im zweiten Wahlgang ihre Stimmen der bürgerlichen Rechten gegeben, wo die eigenen Kandidaten nicht mehr angetreten sind? Immerhin hatte der Parteivorsitzende der Republikaner, Nicolas Sarkozy, ein solches Verhalten für seine Anhänger ausgeschlossen?

Viele linke Wähler haben für die rechten Listen und Spitzenkandidaten gestimmt, obwohl das für sie sehr unbefriedigend ist. Schließlich ist die Linke in den nächsten sechs Jahren in den zwei Regionalräten im Norden und an der Cote d’Azur überhaupt nicht vertreten. Zudem mussten sie dort ihre Stimme Xavier Bertrand geben, der unter Präsident Sarkozy Arbeitsminister war, und Christian Estrosi, der innerhalb der Partei der Republikaner den ausgeprägt rechten Flügel repräsentiert. Das war also ein Votum, das den Linken nicht leicht gefallen ist, das aber im Moment effizient gegen die Front National war.

Das kann doch aber wohl keine Lösung auf Dauer sein?

Ich denke, dass das nicht ausreicht, denn es führt in der politischen Debatte zu keiner Klärung. Überwogen hat im Moment die Befürchtung, dass die Front National in die Regionalräte einzieht. Das ist geschafft, aber mehr auch nicht.

Wie ist das Ergebnis der PS insgesamt einzuschätzen?

Die Sozialisten konnten sich einigermaßen halten, aber man muss feststellen, dass die Linksfront ein ausgesprochen schlechtes Ergebnis zu verzeichnen hatte. Das Votum gegen die FN ist keine Lösung auf Dauer, denn es handelt sich allein um eine Ablehnung, eine Abwehr.

Was muss die Linke aus dieser und den jüngsten Wahlniederlagen lernen?

Vor der Linken steht jetzt die Aufgabe bis zur Präsidentschaftswahl 2017 eine überzeugende politische Alternative vorzulegen, mit der nicht zuletzt die Lehren aus der Kritik an der Politik der Regierung gezogen werden.

Wie sehen Sie die Präsidentschaftswahl 2017 im Licht der Ergebnisse der Regionalwahl?

Es ist völlig offen, wie sich die Sozialisten bei der Präsidentschaftswahl durchsetzen wollen, wo doch ihre Politik nicht nur von der Rechten, sondern auch und gerade von vielen ihrer angestammten linken Anhänger und Wähler kritisiert oder gar rundweg abgelehnt wird. Ändern ließe sich das nur durch eine entschlossene Wende.

Und das spielt der Rechten in die Hände?

Die bürgerliche Rechte dagegen hat gute Aussichten. Sie gewann jetzt zwei wichtige Regionen, in denen sie fast schrankenlos regieren kann. Der Parteivorsitzende der Republikaner, Nicolas Sarkozy, kann seinen Kurs weiter verfolgen, die Partei mit starken Worten auf ausgeprägt rechte Positionen zu bringen mit Themen wie Einwanderung, Terrorismus, Unsicherheit, nationale Identität usw., um so möglichst viele Wähler von der Front National abzuziehen.

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