Investitionswende bleibt aus

Bauwirtschaft von Politik enttäuscht / Bereitgestellte Gelder werden nicht abgerufen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Verbände rechnen 2016 mit einem Umsatzanstieg von 2,8 Prozent. Das reiche aber angesichts der Aufgaben bei Weitem nicht aus.

»Wir werden nicht das erleben, was wir hoffen, nämlich eine wirkliche Wende«, prophezeit Axel Wunschel, Geschäftsführer des Bauindustrieverbandes Berlin-Brandenburg für das kommende Jahr. Abgesehen vom Wohnungsbau, der nach einer gemeinsamen Prognose von Bauverbänden, Bausozialkasse und öffentlicher Hand in diesem Jahr gegenüber 2014 um fast zehn Prozent zugelegt haben wird, wird der Umsatz beim Wirtschaftsbau wie Büro- und Industriegebäuden und auch bei der Errichtung öffentlicher Infrastruktur wie Straßen oder Schulen dieses Jahr sogar darunter liegen.

2016 werden bei Wohnungen und Infrastruktur Zuwächse erwartet, während der Wirtschaftsbau weiter zurückgeht. »Wenn das der Fall ist, kann man für die Region nichts positives erwarten«, sagt Wunschel. Die Steigerung des Bauumsatzes entspreche überhaupt nicht den Aufgaben einer wachsenden Stadt, findet Reinhold Dellmann, Geschäftsführer der Fachgemeinschaft Bau. Zwar seien der Doppelhaushalt 2016/2017 und auch der Investitionsfonds SIWA positive Signale, der Senat müsse aber mehr investieren.

Baukonjunktur in Zahlen

-  Baugewerbe setzt 2015 rund 2,87 Milliarden Euro (minus 0,7 Prozent gegenüber 2014). 2016 sollen es 2,95 Milliarden Euro (plus 2,8 Prozent) werden.

- Infrastruktur wird 2015 für 570 Millionen Euro gebaut (minus 5 Prozent). 2016 sind 620 Millionen Euro prognostiziert (plus 8,8 Prozent).

- Für Wohnbauten werden 2015 rund 1,2 Milliarden Euro ausgegeben (plus 9,8 Prozent). 2016 sollen es 1,25 Milliarden Euro sein (plus 4,4 Prozent).

- Beim Wirtschaftsbau geht es abwärts. Von 1,2 Milliarden Euro 2014 sinken die Umsätze auf 1,1 Milliarden Euro 2015 (minus 8 Prozent) und weiter auf 1,08 Milliarden Euro 2016 (minus 1,8 Prozent).

- Die Beschäftigtenzahlen im Bau steigen kontinuierlich. Gab es 2014 exakt 15 249 Arbeitsplätze, steigt die Zahl bis Jahresende auf 15 892 (plus 4,3 Prozent) und 2016 werden 16 100 erwartet (minus 1,8 Prozent). nic

Quelle: Prognose von Bauverbänden, Sozialkasse und öffentlicher Hand

»Allein bei Schulbau und der -sanierung müssten wir Steigerungsraten von 10, 15, 20 Prozent haben, um in absehbarer Zeit auf einen guten Standard zu kommen«, sagt Dellmann. Aber auch Straße und Schiene würden »nicht in dem Maße unterstützt, wie es nötig ist«.

Ein großes Thema ist, nicht nur für die Verbände, die Unfähigkeit der öffentlichen Hand, bewilligte Gelder auch zu verbauen. Da sind die geringen Planungskapazitäten, aber auch der Aufschub von Entscheidungen. Als Negativbeispiel nennt Dellmann den Bau von Fernzuggleisen an der Dresdner Bahn, die den Flughafen BER auf direktem Weg mit dem Hauptbahnhof verbinden soll: »Die ist eine unendliche Geschichte. Was jetzt passiert, hätten wir auch vor 15 Jahren haben können.«

Und dann gibt es noch das spezielle Thema Verkehrslenkung Berlin. Die Behörde kommt seit Jahren nicht ihren Aufgaben nach, zu denen unter anderem die Genehmigung und Koordinierung von Straßensperrungen wegen Bauarbeiten gehört. »Wir haben in 15 Bundesländern keine Probleme, die entsprechenden Genehmigungen zu bekommen. Und dann gibt es noch Berlin«, sagt Axel Wunschel. Zwar sei die Summe von 100 Millionen Euro deswegen nicht verbauter Mittel nicht kleiner geworden. »Aber wir haben Hoffnung«, sagt Dellmann. Der oberste Dienstherr, Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD), nehme sich wenigstens glaubhaft des Problems an.

Beim Wohnungsbau sind nach Ansicht der Verbände die Kostensteigerungen durch verschärfte Standards bei der Wärmedämmung sowie der im Gesetzgebungsverfahren befindlichen neuen Berliner Bauordnung problematisch. »In jedem Gesetzesvorschlag sollte drinstehen, wie sich das auf die Nettokaltmiete auswirkt«, fordert Dellmann. Dann könnte man eine ehrliche politische Diskussion führen, welche Standards gelten sollen.

»Vor uns steht nicht nur die Aufgabe, für Geflüchtete zu bauen, sondern auch für Menschen, die sich von ihrem normalen Einkommen keine adäquate Wohnung leisten können«, sagt Wunschel. Die Diskussion über preiswertes Bauen sei älter als die Flüchtlingsdebatte. Die Berliner Ausschreibung für modulare Bauten für bisher zwei konkrete Grundstücke in Marzahn-Hellersdorf nennt er »einen sehr kleinen Tropfen auf einen sehr heißen Stein«. Die Bauwirtschaft stehe bereit, sagt Dellmann, »es gibt nur sehr unterschiedliche Einschätzungen, wie viele Kosten tatsächlich gespart werden.«

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