Hilfsgelder kommen nicht mehr an

Zugesagte Milliarden für Entwicklungsländer werden immer häufiger in die Flüchtlingshilfe umgewidmet

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New York. Europäische Länder setzen ihre Entwicklungshilfegelder verstärkt für die Flüchtlingspolitik im eigenen Land ein, berichtet die Dachorganisation CONCORD, in der Nichtregierungsorganisationen aus allen 28 EU-Ländern vereinigt sind. Einer Untersuchung zufolge haben die Niederlande und Italien ihre kompletten für die Entwicklungshilfe dieses Jahres vorgesehenen Gelder für Flüchtlinge im eigenen Land verwendet, Zypern zu 65 Prozent und Portugal zu 38 Prozent.

Schon seit Jahren kommt fast kein Land der Europäischen Union seinen Verpflichtungen nach, je 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Entwicklungshilfe zu stecken. Dem Bericht 'Looking to the future, don't forget the past - aid beyond 2015' zufolge hat die EU insgesamt mit 0,42 Prozent des BIP lediglich wenig mehr als die Hälfte der versprochenen Gelder in den Entwicklungshaushalt gesteckt. Nur vier Länder kommen für die gesamten 0,7 Prozent auf - Luxemburg, Schweden, Dänemark und Großbritannien. Deutschland ist nicht dabei.

CONCORD zufolge wurde die Entwicklungshilfe in wenigen EU-Ländern im Vergleich zum Vorjahr aufgestockt. Das waren vor allem die EU-13-Länder Rumänien (um 65 Prozent), Kroatien (41 Prozent), Estland, (21 Prozent), Ungarn (13 Prozent) und Malta (13 Prozent). Auch Deutschland stockte seine Hilfsgelder auf (14 Prozent), ebenso Finnland (14 Prozent), Großbritannien (9 Prozent) und Schweden (7 Prozent).

Spanien, Portugal und Frankreich rückwärtsgewandt

In anderen Ländern wurde die Entwicklungshilfe zurückgefahren. Darunter waren Litauen mit 21 Prozent, Spanien mit 20 Prozent, Portugal mit 14 Prozent, Frankreich mit 8 Prozent und Polen mit 7 Prozent. Besorgniserregend sind hier vor allem Spanien, Portugal und Frankreich, da diese drei Länder ihre Gelder in den vergangenen Jahren immer weiter zurückgeschraubt haben.

Nun werden die viel niedrigeren Summen auch noch in andere Töpfe umgeleitet. Lediglich Luxemburg, Polen und Bulgarien haben öffentlich mitgeteilt, Entwicklungsgelder nicht in die Flüchtlingspolitik zu stecken.

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon betrachtet die Ergebnisse der Untersuchung mit gemischten Gefühlen. »Ich begrüße die großzügige Unterstützung für Flüchtlinge, die nach Schutz und besseren Chancen suchen.« Dennoch ersuche er die Länder der Europäischen Union um eine Ausweitung der finanziellen Unterstüzung statt Gelder zu verwenden, die bereits für die Entwicklungshilfe vorgesehen seien.

Natürlich gebe es in allen Ländern ein Limit dessen, was sie geben können. »Es mag daher unabwendbar sein, dass kurzfristig die Entwicklungsgelder umgewidmet werden. Aber sollte langfristig daran festgehalten werden, dann wird die Lücke zwischen humanitärer und Entwicklungshilfe immer größer.« Sollte die Entwicklung nicht weiter vorangetrieben werden, dann gebe es letztlich mehr Arbeitslose und mehr Frustration, und dann würden erst recht Menschen ihre Länder auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen.

Klimaschutz statt Entwicklungshilfe

Der CONCORD-Bericht warnt darüber hinaus, dass viele EU-Länder die Entwicklungsgelder als sogenanntes 'Greenwashing' einsetzen: Sie widmen schon seit längerem die Hilfsgelder zur Finanzierung des Klimafonds um, da sie sich verpflichtet haben, eine bestimmte Summe in Klimaschutz und -anpassung in Entwicklungsländern zu stecken.

Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass viele EU-Länder ihre Entwicklungshilfe weiterhin als Hebel sehen, um einen Politikwandel oder eine größere Liberalisierung in den Zielländern herbeizuführen. Ein Großteil der Hilfsgelder sei daher an bestimmte Bedingungen gebunden.

Gerade mit Blick auf die UN-Nachhaltigkeitsziele, die in diesem Jahr die Millenniums-Entwicklungsziele abgelöst haben, braucht es mehr Entwicklungshilfegelder denn je. Die Vereinten Nationen haben die stattliche Summe von mehr als 3,5 Billionen US-Dollar jährlich veranschlagt, um die ehrgeizige Entwicklungsagenda für die Zeit nach 2015 umzusetzen.

Die UNO hatte daher Anfang November vorgeschlagen, eine »verborgene Quelle« für die Entwicklungsfinanzierung anzuzapfen. Damit gemeint waren die illegalen Kapitalabflüsse aus Afrika, die auf jährlich mehr als 50 Milliarden Dollar geschätzt werden. Der Kontinent habe durch diese Kapitalabflüsse enorme Summen verloren, die in die wirtschaftliche Entwicklung und in den Strukturwandel hätten investiert werden können. Die Kapitalabflüsse schwächten staatliche Institutionen, reduzierten die für die Entwicklung bereitstehenden Finanzmittel und führten zu Steuererhöhungen im Inland, mit denen Lücken gestopft werden sollten. IPS/nd

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