Mach’s wie Gott!

»Mein Weihnachtsbild«

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie stark würde sich ein Volk verändern müssen, »wenn es sich auf die Lehre von Schuld, Erlösung und ewigem Leben einließe«? Fragt Martin Mosebach. Die Geburt des Kindes in der Krippe, so Mosebach, löste eine »Revolution der Empfindung« aus; es war eine seltsame Geburt, schreibt Michael Krüger, »das Unerhörte, Unwahrscheinliche, ja Skandalöse« dieses Zurweltkommens »bleibt selbst gläubigen Menschen ein Mirakel«.

Ja. Aber zur Weihnachtszeit gilt doch: Selbst Kirchenkritiker sollten sich, um ihrer Glaubwürdigkeit willen, jetzt eine Pause gönnen. Wie die Tierseelsorger aufhören sollten, auf den gedeckten Tisch zu springen. Alles hat seine Zeit, Mahnung auch - Dauerbesorgte wirken an sich selber vorbei.

Gib dir feierlich Mühe, sag ich mir. Dazu stehen ja die Feiertage mit hohen Wänden im Wind, als Vitrinen auf Zeit - dass wir in angestrengter Gelassenheit darin spielen, für uns, für den beliebten Himmel - oder bloß so, dass gespielt wird.

Am Ende hat jedes Jahr seine gefürchteten Feiertage verdient. Und Büchlein wie dieses helfen beim Feiern und stellen die Hilfe keinesfalls ein, wenn das Festkostüm dann wieder im Schrank hängt. 22 Autoren bringen uns ihr liebstes Weihnachtsbild nah. Norbert Lammert und Wilhelm Schmid, Hans-Jürgen Treichel und Elke Heidenreich, Eckart von Hirschhausen und Ulrike Draesner. Renaissance und Comic, Plakat und Puttenzauber.

Annette Schavan nimmt das Relief »Die Anbetung der Könige« an der Kathedrale Saint-Lazare als Anlass für den Satz, dies Bild ermutige dazu, »bislang Undenkbares ernst zu nehmen - das begründet eine Haltung des Gebets«.

Gertrud Leutenegger erinnert sich an das Ölgemälde eines Unbekannten, an der Wand im Esszimmer ihrer Kindheit; ein Moment Ruhe auf der Flucht nach Ägypten. Erinnerung an eine frühe Ahnung: »Wie selten ist Weihnachten. Flucht ist immer.«

Peter Härtling blickt auf Paul Klees Kinderzeichnung »Christkind mit Weihnachtsbaum und Eisenbahn«, fast vier Jahrzehnte später wird Klee den »Engel der Geschichte« malen, und Härtling verbindet beides: »die Katastrophe hinter dem Kinderglauben, die Erschütterung, die der Arglosigkeit folgt«.

Lies dich fest an Kyrieleis und Ochs und Esel und Myrrhe. Tu, als könntest du momentan nicht anders. Wähl also Liebe, wähl Heimlichkeit, furchigen Ernst, wähl einen weißen Bart und Zipfelmütze und lass das Gefühl von Liebe verhalten flackern. Lies dich frei, und ringsum verfallen die Glocken sofort in wildfröhliches Läuten.

Christian Lehnert sagt uns diese Wahrheit über die heilige Erleuchtung in dunkler Nacht: »... dann, wenn nichts sichtbar ist - dann erst kann der Mensch sehen. Sehen, was er nicht schon weiß und womit er nichts anfangen kann. Sehen, was er nicht selbst schon ist.« Aber doch werden soll!, fügt der Dichter hinzu.

Was werden? Friedrich Schorlemmer betrachtet Cranach und sagt’s uns: »Mach’s wie Gott. Werde Mensch!« Höchste, schwierigste vielleicht unlösbarste Aufgabe: zu lernen und zu begreifen, was sich von selber versteht.

Mein Weihnachtsbild. Hrsg. von Gesine Dammel. Insel Verlag Berlin. 128 S., geb., 19,95 €.

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