Werbung

Die Antworten der Kanzlerin

Chronik eines halben Jahres: Freundliche Worte und unfreundliche Gesten

  • Lesedauer: 3 Min.

Die Geschichte der Asylpolitik 2015 in Deutschland wird gewöhnlich als eine der Bundeskanzlerin erzählt, die eine besonders freundliche sei. Sie beginnt mit einer Fernsehübertragung: Angela Merkel im Bürgerdialog. Es ist der 15. Juli. Das Palästinensermädchen Reem bricht in Tränen aus, als ihr die Kanzlerin sagt, wie nett sie sie findet, aber auch, dass Deutschland nicht alle »Tausende und Tausende« aus den Flüchtlingslagern aufnehmen könne. Ein Shitstorm bricht über Merkel herein. Aber auch Sympathie, weil sie Gefühl gegenüber dem Mädchen gezeigt hat.

Am 19. Juli korrigiert Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Zahl der geschätzten Flüchtlinge, die 2015 in Deutschland ankommen könnten - von 450 000 auf 800 000. Kurz darauf setzt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Dublin-Regelung außer Kraft. Flüchtlinge müssen nicht mehr dorthin zurückgeschickt werden, wo sie zuerst EU-Gebiet betraten.

Am 28. August wird die Bundeskanzlerin im sächsischen Heidenau unflätig beschimpft und als »Volksverräterin« bezeichnet. In Heidenau haben zuvor Nazis gewalttätig demonstriert. Gewaltakte und Brandstiftungen breiten sich in ganz Deutschland aus.

Auf einer Pressekonferenz am 31. August bekennt sich Angela Merkel zur Aufnahme von Flüchtlingen. Und sie sagt den Satz »Wir schaffen das.« Gleichzeitig kündigt sie Gesetzesänderungen an: Hilfe des Bundes für Länder und Kommunen, erleichterte Integration, aber auch schnellere Asylverfahren und Abschiebungen.

Am 4. und 5. September eskaliert die Lage der Flüchtlinge in Ungarn, Zehntausende machen sich auf den Weg nach Norden. Die Kanzlerin verständigt sich mit ihrem österreichischen Amtskollegen Werner Faymann telefonisch auf eine unbürokratische Aufnahme der Menschen. Merkel gerät spätestens jetzt in Konflikt mit dem bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef Horst Seehofer. Die Kanzlerin habe sich »leider im Alleingang für die Vision eines anderen Deutschland« entschieden, verkündet der. Seiner Forderung nach Obergrenzen für Flüchtlinge gibt Merkel auch auf einem CSU-Parteitag im Dezember nicht nach.

Am 15. September verkündet Merkel mit Faymann in Berlin, dass Flüchtlinge ohne Bedingungen aufgenommen werden. Merkel: »Wenn wir jetzt anfangen müssen, uns zu entschuldigen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.«

Am 24. Oktober tritt das erste Asyl-Gesetzespaket in Kraft. Es enthält die angekündigten Erleichterungen für Kommunen und Verschärfungen des Asylrechts. Außerdem werden die restlichen Staaten des Westbalkan zu »sicheren Herkunftsstaaten« erklärt. Es laufen Debatten über »Transitzonen« zur Selektierung der Flüchtlinge. Merkel: Zur Lösung der Flüchtlingskrise reichten die Schritte nicht aus. »Dafür braucht es mehr.«

Am 1. November tritt das zweite Asylrechtspaket in Kraft. Behörden erhalten neue Möglichkeiten, Einreise- und Aufenthaltsverbote zu verhängen. Im »Ausreisegewahrsam« können Abzuschiebende bis zu vier Tage festgehalten werden.

Die Debatten über schärfere Gesetze gehen weiter. Stichworte sind: Stopp des Familiennachzugs, Leistungskürzungen, vertragliche Integrationsverpflichtungen, Passpflicht bei Einreise. nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal