Opposition: SPD im »Widerspruch zur europäischen Idee«

Linke und Grüne lehnen Einschränkung von Sozialleistungen für EU-Bürger ab / Zimmermann: Ärmste der Armen werden gegeneinander ausgespielt / Harms: Es gibt überhaupt kein Problem

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Berlin. Der Vorstoß aus der SPD, Sozialleistungen für EU-Bürger einzuschränken, stößt bei der Opposition auf Kritik. Die Linken-Politikerin Sabine Zimmermann bezeichnete den Vorstoß als beschämend. »Hier werden die Ärmsten der Armen gegeneinander ausgespielt. Wenn wir Freizügigkeit in Europa wollen, und das will Deutschland ja, dann muss man auch eine gewisse soziale Absicherung gewährleisten«, sagte die stellvertretende Linksfraktionsvorsitzende im Bundestag dem NDR. »Die Sozialleistungen für EU-Ausländer zu kürzen, stellt einen Widerspruch zur europäischen Idee dar.« Wenn Deutschland Freizügigkeit in Europa wolle, dann müsse es auch eine gewisse soziale Absicherung gewährleisten.

Zimmermann bezweifelte einen Handlungsbedarf in der Angelegenheit. »Ich würde nicht unterstellen, dass alle, die hier hinkommen, dies wegen der sozialen Absicherung tun«, sagte Zimmermann dem Sender NDR Info. »Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann sind die wenigsten, die hier hinkommen, wirklich gleich auf soziale Leistungen angewiesen, sondern die meisten gehen erstmal einer Arbeit nach.«

Es sei erschreckend, dass das neue Jahr gleich wieder mit einer negativen Diskussion über die Europäische Union eröffnet werde, sagte auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Europaparlament, Rebecca Harms. Die SPD habe eine Debatte angestoßen, ohne die Grundlagen zu benennen.

»Ich weiß, dass viele gut ausgebildete europäische Bürger in Deutschland arbeiten«, sagte Harms. Zudem würden etwa »Bulgaren, die in Deutschland arbeiten, erheblich mehr in die Sozialkassen einzahlen als sie entnehmen«. »Mich irritiert, dass ein Vorschlag angekündigt und diskutiert wird, bevor man überhaupt erklärt, ob es ein Problem gibt, wie groß es ist, und welche Konsequenzen eine Neuregelung haben würde«, sagte die Grünen-Europaabgeordnete.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und der SPD-Vizevorsitzende Olaf Scholz hatten sich dafür ausgesprochen, die Sozialleistungen für EU-Bürger einzuschränken. Nahles hatte erklärt, die Kommunen müssten davor bewahrt werden, »unbegrenzt für mittellose EU-Ausländer sorgen zu müssen«. Scholz schlug vor, dass EU-Ausländer erst dann dauerhaft Sozialleistungen beantragen können, wenn sie ein Jahr in einem Land gelebt und gearbeitet haben.

Das Bundessozialgericht hatte Anfang Dezember entschieden, dass EU-Ausländer nach sechs Monaten Aufenthalt in Deutschland Anspruch auf Sozialhilfe haben. EU-Bürger, die nach Deutschland kommen, um Sozialleistungen zu erhalten oder erstmals eine Arbeit zu suchen, sind nach deutschem Recht zwar generell vom Hartz-IV-Bezug ausgeschlossen. Dies gilt auch nach dem Kasseler Urteil weiter. Allerdings muss die Sozialhilfe einspringen, um das Existenzminimum der Betroffenen zu sichern, wie die Richter entschieden.

Ein Grund für die Vorstöße aus der SPD liegt denn auch ganz woanders: Der konservative britische Premierminister David Cameron hatte bereits Anfang November einen Verbleib des Königreichs in der Europäischen Union unter anderem davon abhängig gemacht, dass die Sozialleistungen für EU-Ausländer und ihr Zuzug national begrenzt werden können. Derzeit werde ein möglicher Kompromiss ausgelotet, hieß es in Brüssel - und dabei könnte die Frage der Sozialleistungen der entscheidende Punkt werden.

Das Onlinemagazin »Politico« meldet, Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident François Hollande hätten einen Gegenvorschlag zu Camerons Forderung formuliert, EU-Bürger sollen nach Einwanderung künftig mindestens vier Jahre arbeiten, bevor sie in Großbritannien einen Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen haben - Berlin und Paris sollen sich nun als möglichen Kompromiss eine dreijährige Sperre vorstellen können, so das Magazin unter Berufung auf EU-Quellen.

Als Cameron seine Forderung im November formulierte, hieß es noch, er sei mit dem Vorstoß zur Einschränkung der Freizügigkeit auf Kollisionskurs zu Merkel - die zuvor erklärt hatte, Errungenschaften der europäischen Integration wie das Prinzip der Freizügigkeit und der Nicht-Diskriminierung stünden bei den Beratungen über eine Reform der EU nicht zur Disposition. Nun deuten die Signale in eine andere Richtung. Und die Äußerungen aus der SPD sollen womöglich mit den Boden dafür bereiten, diese Kursänderung innenpolitisch abzustützen. Agenturen/nd

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