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Über Schwedt ist auch Himmel

Zum Tod von Achim Mentzel

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.

Von der großen Stadt aus ist der Blick übers Land weit - und oft grau, unendlich grau. Dazu das Grauen der Provinz: mit großstädtischer Weltgewandtheit jahrelanges, nur schwer zu ertragendes, grummelndes Schweigen dem Fremden gegenüber oder distanzloses Duzen nach nur zwei Minuten. Es fällt leicht, Achim Mentzel sofort in die zweite Ecke einer solch kurzsichtigen Provinztypologie zu schieben - Schnauzer, Dauergrinsen und zwei hochgereckte Daumen. Der ist sich für nichts zu schade und Staatsgrenze sagt ihm tausendmal mehr als Schamgrenze.

1963, in der DDR findet auf den Tanzflächen nicht mehr nur Klassenkampf statt, das Kahlschlagplenum vom Dezember 1965 ist noch weit weg. Der 16-jährige Ostberliner Mentzel spielt an der Klampfe im »Diana-Schau-Quartett« Songs der Beatles und der Stones nach. Was der Beruf des Polsterers dem lockigen Jüngling nicht geben kann, der Rock’n’Roll kann es: unterwegs sein. Angehimmelt sein. Frauen. Für eine bleibt er 1973 nach einem Auftritt im Westen. Sechs Monate hält er es im Saarland aus - dann geht er zurück in die DDR. Im Westen wohnt eben nicht nur die Verwandtschaft, da wohnt auch das Heimweh, schreibt er später selbst. Zurück in der DDR, wartet nicht nur Frauenärger, sondern auch eine Anklage wegen Republikflucht. Zwei Jahre auf Bewährung.

Mentzel bewährt sich - nicht mehr als Rocker, sondern als Stimmungsmusikant zwischen Kap Arkona und Fichtelberg. »Stimmung, Jux und Mentzel« heißt seine erste Amiga-LP 1979 und das ist Programm. 1980 die vierte Eheschließung, diesmal soll es für immer halten. Es hält bis zum Schluss.

1988, die DDR ist längst sklerotisch und Achim Mentzel darf den »Kessel Buntes« moderieren - der übersteht die Wendezeit zwar nicht, dafür Mentzels Moderation in »Achims Hitparade«, die im Heimat- und (N)ostalgiesender MDR bis 2006 erfolgreich läuft. Sich an die Verhältnisse anzupassen - das geling Mentzel ganz gut. Und sich dabei mit Mutterwitz sogar einige Nischen zu schaffen. 1985 leiert er der notorisch knappen Amiga das Vinyl für eine Single aus dem Budget. Harry Jeske von den Puhdys hatte ihn gefragt, ob er dessen Hymne für den Wieder-Einmal-Aufsteiger in die Oberliga, den 1. FC Union Berlin einsingen wolle. Mentzel, selbst in seiner Jugend Spieler bei Vorwärts Berlin und in der Berliner Juniorenauswahl, sagt sofort zu: »Stimmung in der Alten Försterei« wird gepresst und bis heute in der Alten Försterei vor den Spielen gesungen: »Auf einer grünen Wiese zwei Tore aufgestellt, und zwischen diesen Toren der schönste Platz der Welt ...« - das ist zeitlos nicht nur in Berlin-Köpenick.

Und kommt immer wieder hoch, wenn es passt: Mentzel spielt da zwar in einer nicht ganz so hohen Liga wie die gerade abgetreten Puhdys, die es mit ihren Songs über Hansa Rostock (1994), die Eisbären Berlin (1997) und selbst Berliner Pilsner immer im richtigen Moment schaffen, eine Art ostdeutsche Erfolgsmentalität zu beschwören - Mentzel singt dagegen eine schaurige Hymne für den nach der Wende abgestürzten Eisenhüttenstädter FC Stahl oder zeigt sich bis zuletzt auf seiner Homepage im Trikot des FC Energie Cottbus. Er wirkt halt nicht wie Bundesliga, eher wie Brandenburgliga - Spreewaldgurkenwerbung inklusive.

Aber anders als die Puhdys, die im Westen mit einer Vereinshymne nur bis zum SC Paderborn kommen, schafft es Mentzel bis ins Feuilleton - er entführt kurzerhand Oliver Kalkofe in einer TV-Show, nachdem dieser ihn immer wieder in seiner »Mattscheibe« karikiert hatte. Mentzel reagiert nicht beleidigt, sondern nimmt den Ball einfach auf und spielt mit - der manchmal ätzende TV-Kritiker aus dem Westen und die Spaßmaschine aus dem Osten werden enge Freunde. »Alter Freund, ich vermisse Dich! Du hast mir den Glauben an die Menschheit (beim Fernsehen) wieder gegeben. Danke für alles«, schrieb Kalkofe kurz nach dem unerwarteten Tod Achim Mentzels am Montag. »Und jetzt ist Achim im Gurkenhimmel.« Von dort guckt er vielleicht auch auf das Autohaus in Schwedt, in das ihn Rainald Grebe in Liedform verfrachten wollte - als provinziellen Gegensatz zum weltstädtischen Berlin. Der geborene Berliner Mentzel konnte darüber grinsen - mit zwei hochgereckten Daumen.

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