Hungersnot in syrischer Stadt Madaja

Seit Monaten konnten keine Lebensmittel mehr geliefert werden / Versagen auch der internationalen Diplomatie

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 3 Min.
In mehreren syrischen Städten verhungern Menschen, weil sie seit Monaten belagert werden. Rotkreuzorganisationen stehen bereit, brauchen aber, um helfen zu können, mindestens eine Feuerpause.

Die Nachrichten sind alarmierend: In einigen belagerten syrischen Städten sterben täglich Menschen, weil sie schlicht nichts zu essen hatten. Darauf hat die in London residierende syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte aufmerksam gemacht. Sie gilt als der Opposition verbunden und folglich nicht immer objektiv.

Im vorliegenden Falle gibt es allerdings wenig Grund zu Zweifeln. Es gibt etwa ein halbes Dutzend belagerte Städte, in denen sich regierungsfeindliche Milizen in bewohnten Gegenden verschanzt haben und die deswegen von der syrischen Armee umzingelt sind. Was ist das nun? Die Bezeichnung dessen hängt sehr stark davon ab, auf welche Seite man sich in diesem Konflikt gestellt hat. Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen beispielsweise nannte den Eroberungsversuch der syrischen Truppen kürzlich »einen Krieg gegen das eigene Volk«. Der syrische griechisch-orthodoxe Patriarch Johannes bezeichnet dasselbe Geschehen als »kollektive Geiselnahme durch irreguläre und ausländische bewaffnete Gruppen« und sieht die Armeeangriffe daher als völlig legitim an. Hauptleidtragende ist in jedem Falle die Zivilbevölkerung, die niemand gefragt hat, ob sie zu der Miliz innerhalb ihrer Stadtmauern steht oder lieber von der Armee befreit werde möchte. Im Falle der Christen ist letzteres zu vermuten.

Aktuell bewegt vor allem das Schicksal der Stadt Madaja nahe Damaskus an der Grenze zu Libanon. In der Stadt, so heißt es von der Londoner Beobachtungsstelle, verteidigen sich Kräfte der Freien Syrischen Armee (FSA) seit fast einem halben Jahr gegen reguläre Streitkräfte und mit diesen verbündete Milizen der libanesischen Hisbollah. Die Stadt sei inzwischen schon seit Wochen ohne Lebensmittelzufuhr. 40 000 Menschen hätten damit nichts zu essen; 39 seien bereits hungers gestorben. Am Donnerstag wurde deshalb ein Appell veröffentlicht. »Wir stehen in Syrien mit Hilfsgütern bereit, aber wir brauchen sicheren Zugang zu Madaja«, zitiert dpa dazu die für den Nahen Osten zuständige Sprecherin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Dibeh Fakhr.

Auch der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer, äußerte am Donnerstag in Berlin »größte Sorge« über die Lage der Zivilbevölkerung. Strässer appellierte an Länder wie Iran und Russland, sich beim syrischen Präsidenten Baschar al-Assad dafür einzusetzen, dass »humanitärer Zugang« gewährleistet werden kann. UN-Vertreter hätten trotz zahlreicher Anfragen keinen Zutritt zur Stadt erhalten. Es ist gewiss wichtig, dass auch Strässer die Hungersnot öffentlich gemacht hat, aber vielleicht wäre stille Diplomatie der erfolgversprechendere Weg gewesen.

»Ich richte meinen Appell an die Welt, an die Menschheit, an die Muslime, an die Araber«, sagt ein führender Exilsyrer aus Madaja im katarischen Fernsehsender Al-Dschasira. »Seht euch unsere Lage an! Wo bleibt ihr? Rettet uns! Unsere Kinder, Frauen und Männer verhungern!« Ein dramatischer Appell, der aber nicht erwähnt, dass - wie der libanesische Fernsehsender Al-Manar berichtete - eine Kapitulation vonseiten der FSA-Führer in der Stadt ebenso abgelehnt worden sein soll wie ein freier Abzug für die Zivilbevölkerung.

Funktionierende FSA-Einheiten gibt es kaum noch, die in Madaja dürften zu den letzten gehören. Als Deserteure aus der Armee haben sie bei Gefangennahme das Schlimmste zu befürchten. Warum sie nicht einfach aufgeben, ist schon dadurch erklärlich. Um so wichtiger wäre hier auswärtiger Druck, um einen freien Abzug zu erreichen, eventuell verbunden mit einem Gebietsabtausch. Gerade in dieser Region wurde das schon mehrfach erfolgreich praktiziert, so in der Großstadt Homs.

Dort wurde Anfang Dezember das letzte von Rebellen gehaltene Viertel nach einer Vereinbarung mit der Regierung geräumt. Deren Gegner hatten dafür freies Geleit erhalten; das Ganze unter internationaler Schirmherrschaft. Es hat bisher niemand einen Grund genannt, warum es für Madaja nicht eine ähnliche Lösung geben kann.

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