Süßes Leben des Aufruhrs verdächtigt

Johann und Daniel Josty boten als einzige ausländische Journale in Schweizer Lese-Café an

  • Friedrich Kleinhempel
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
»Café Josty« - das bedeutete eine geheimnisvolle, erregend süße Welt. Kuchen, Torten, Marzipan, Biskuits, Konfekt, Baisers, Dragées, Gelées, Pralinées, kandierte Früchte, Schokoladen, Marmeladen, Konfitüren, Fruchtsäfte, Liköre, Weine, Kakao, Tees, Kaffees... »Kahve« trank man im 16. Jahrhundert im Osmanischen Reich, bald in ganz Europa. Deutschland hatte erste Kaffeestuben in Seehäfen: 1673 in Bremen, 1677 in Hamburg. Leipzigs erste öffentliche Kaffeeschenke »Zum arabischen Coffe-Baum« von 1694 ist das älteste erhaltene Kaffeehaus außerhalb Arabiens. In Berlin kannte der Große Kurfürst schon 1675 die merkantile Bedeutung des Kaffees. Hundert Jahre später (erstes öffentliches Kaffeehaus in Berlin 1721) importierte Preußen jährlich Kaffee für 200 000 Taler. In Kaffeehäusern wurde oft erregt diskutiert. Das war des Aufruhrs verdächtig. Kaffee wurde Schmuggelgut, führte zu politischen Affären. Friedrich II. wollte mit staatlichem Monopol den Kaffeeverbrauch einschränken. 1781 verbot er den Einwohnern Berlins, »in ihren Häusern selbst Kaffee zu rösten« und heimlich zu trinken, ohne Kaffeesteuer zu bezahlen. Zur Durchsetzung des Verbots schnüffelten bezahlte Spitzel nach Kaffeeduft. Ihr lächerliches Wirken blieb letztlich erfolglos. Mit dem Aufblühen des Fremdenverkehrs im 18. Jahrhundert zog es Reisende zu Sommerfrische und Heilkuren in die Gebirge. Gast- und Herbergswirte, Bierbrauer, Konditoren, Schokoladen- und Likörhersteller in manchem Alpenhochtal hatten im Sommer gutes Auskommen. Doch nach der Saison wanderten die meisten weg, der Not gehorchend, um den Winter über oder auf Dauer in der Fremde Geld zu verdienen. So auch die Zuckerbäcker-Brüder Johann (1773-1826) und Daniel Josty (1777-1845). Ihre Vorfahren waren um 1700 im Schweizer Kanton Graubünden von Davos ins Engadin gezogen. Ihren Namen Jost zu Josty romanisiert, arbeiteten sie als Feinbäcker und Cafétiers. Schon im Sommerfrischeort Davos hatten sie Gastgewerbeberufe. In Berlin 1796 angelangt gründete Johann mit Fachgenossen die Zuckerbäckerei »Johann Josty & Comp.«. Das daraus hervorgegangene Café ist seit 1812 »An der Stechbahn 1« belegt. Die »Stechbahn« - mit Straßennamen erst seit 1868 und heute Schloßplatz - war 1538 für »Ringelstech-Turniere« vor dem Stadtschloss angelegt worden. »Café Josty«, als »confiseur rois« umschwärmt, hatte keine Konkurrenz, auch nicht die der »Volpischen Konditorei« in direkter Nachbarschaft an der Stechbahn. Zu Josty ging »ein Publikum aus der feineren Beamtenwelt und von Offizieren«, aber auch von Künstlern und Literaten. Heine, Eichendorff, die Brüder Grimm zählten zu den Gästen. Weil damalige Berliner Zeitungen immer wieder obrigkeitlich zensiert und verboten wurden, legte Josef Josty ausländische Journale ins Café - ein historisches Novum in Berlin. Das »Journal-Repositorium« sei zwar »nur mäßig groß; denn man liest hier nur en passant, während man Pastetchen isst und Madaira trinkt«, notierte ein Blatt. Jostys Ruhm drang hinaus nach Europa. Die Geschäfte der Jostys liefen prima, sie expandierten. Daniel gründete, nach einer Brauerlehre im französischen Niort, 1812 die Bitterbier-Brauerei »Gebrüder Josty & Comp.« in der Prenzlauer Straße 59/60 und führte das Lagerbier ein. 1831 wurde das von den Josty-Brüdern erfundene Getränk »Kreazom-Chocolade« patentiert. Im gleichen Jahr errichtete Daniel die Brauereiniederlage Spittelbrücke 2-3, daselbst 1837 eine Schokoladenfabrik. Die Erben und Nachfolger führten ab 1864 in der Markgrafenstraße 43 eine Weinhandlung, »Jostys Restauration und Konditorei« am Potsdamer Platz, Filialen in der Kaiserallee Ecke Trautenstraße und Unter den Linden. Das »Café Josty«, seit 1880 am Potsdamer Platz, ging durch Stammgäste wie Saß, Fontane, Boldt, Kästner legendär in die Literatur ein. Ein Buch hatte 1835 auch Daniel Josty veröffentlicht: das deutsch, französisch und dreisprachig verfasste Werk »Bière de mon tonneau«. Die letzte Filiale an der Kaiserallee sank 1943 unter Bomben in Schutt und Asche. In der Schweiz galt das erfolgreiche Josty-Imperium im 19. Jahrhundert als bedeutendstes Engadiner Zuckerbäcker- und Kaffeehaus-Unternehmen im Ausland. Das neue »Café Josty« im Sony-Center am wiederbebauten Potsdamer Platz versucht, an alte Traditionen anzuknüpfen, wie früher mit mehr als einem Dutzend Torten, selbst geröstetem Kaffee - d...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.