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Kulturpolitik in Potsdam: Minus und Plus

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 5 Min.
Die brandenburgische Landeshauptstadt am Rande von Berlin ist immer für Überraschungen gut. Um einer mageren Nachrichtenlage vorzubeugen, scheut man dort vor nichts zurück. Und so gibt es viel zu berichten aus Potsdam.

Die brandenburgische Landeshauptstadt am Rande von Berlin ist immer für Überraschungen gut. Um einer mageren Nachrichtenlage vorzubeugen, scheut man dort vor nichts zurück. Zurzeit branden die Wogen einer ultrakonservativ aufs alte Preußen orientierten Strömung mal wieder hoch an einem Bauwerk: dem Mercure-Hotel. 1969 als Interhotel erbaut, stellt es mit seinen 17 Stockwerken einen Stein des Anstoßes dar. Quer durch die parlamentarischen und administrativen Gremien hat man schon viel Zeit darauf verschwendet, den »Kasten« wegzubekommen. Er stehe am falschen Platz, störe den Blick aufs neu errichtete Landtagsschloss und sei sowieso nicht komfortabel genug für verwöhnte Ansprüche. Man müsse ihn käuflich erwerben, abreißen und durch eine »Wiese des Volkes« ersetzen.

Gegen diese abstruse Beweisführung laufen seit Jahren Leute Sturm, die ihren gesunden Menschenverstand noch nicht im Auf-und-Abräum-Trend der Nachwendezeit verloren haben. Sie erhalten seit diesem Wochenende prominente Verstärkung. Alt-Ministerpräsident Manfred Stolpe ist gewiss unverdächtig, die alte preußische Tradition im Land Brandenburg gering zu achten. Es muss schon weit gekommen sein, wenn er zu der lächerlichen Farce um das bauliche Hassobjekt nicht mehr schweigen mag. Die »Märkische Allgemeine Zeitung« zitiert ihn nun unmissverständlich. Im Vergleich zum Abriss des »Palastes der Republik« in Berlin meint er: »Auch hier soll ein Stück Vergangenheit ausgemerzt werden«. Und zur Kostenfrage: »Man hat den Eindruck, Potsdam schwimmt im Geld«. Er bezweifelt die Mehrheitsfähigkeit eines Abrissbeschlusses: »Das ist ein Fall für eine regulierte Bürgerbefragung«.

Am 27. Januar will Oberbürgermeister Jann Jakobs den Abriss seinem Parlament spruchreif unterjubeln. Potsdam ist inzwischen geübt, Fehlentscheidungen auszubaden. Das im Alten Rathaus eingezogene Potsdam Museum blickt nach verfehltem, allen denkmalschützerischen Auflagen hohnsprechenden Umbau mit hermetisch geschlossenen Fenstern auf den Alten Markt. Architekt Reiner Becker verbarrikadierte zudem widerrechtlich die Glasfassade des neuen Eingangs mit einem stählernen Gitter. Nach recht unschönen Rechtsstreitigkeiten fallen der Stadt wiederum Mehrkosten für die Beseitigung der »Zutat« auf die Füße.

Aber es gibt auch gute Nachrichten. Das vom Potsdamer Künstler Peter Rohn 1974 gestaltete Flugmobil - für das »Haus des Reisens« geschaffen und nach Abriss desselben lange Zeit im Depot verwahrt, prangt seit Juni 2015 in der passenden Umgebung von Hans-Otto-Theater und Kulturmeile Schiffbauergasse an der Wand des zugehörigen Parkhauses. Und was noch besser ist: Seit Mitte Januar ist in der benachbarten Galerie »Kunstraum Potsdam« die Entstehungsgeschichte dieses Kunstwerks der Potsdamer Moderne in Skizzen und Entwürfen, schriftlich kommentiert vom Autor, nachzuvollziehen.

Auch das Umfeld der begleitenden Ausstellung »Made in Potsdam« ist lobenswert. Zeigt sie doch ein Echo auf die oben angedeutete Misere auf sehr hohem ästhetischen Niveau. Barbara Raetsch wurde seinerzeit durch ihr furios-expressives Reagieren auf den Verfall Potsdamer Altbausubstanz eine allererste künstlerische Instanz in dieser Stadt. Konfrontiert mit den Baukränen des Abbaus von Infragegestelltem und des Aufbaus von Fragwürdigem blieb ihre Skepsis. Heute zeigt sie Kran-Kompositionen, die Metapher von Kreuzigung suggerierend. In kostbarer Peinture überträgt sie ihre Zweifel auf die Leinwand.

Peter Panzner bringt Ähnliches grafisch zum Ausdruck. Seine breit ausladenden Aquatinten sind von einer raffiniert differenzierenden Radiertechnik. »Verfallen« und »Vergessen« nennen sich beispielsweise Blätter von erschütternder Tristesse. Nicht minder düster kommen die vergleichsweise kleinen radierten Etüden Alfred Schmidts daher, vergessene Winkel des Abseitigen aufspürend. Daneben die rot leuchtenden, in wirbelnder malerischer Abstraktion gegebenen Riesenformate von Christa Panzner, mehr wütende Unruhe als geruhsame Vollendung vermittelnd.

Wenn man die Wendeltreppe hochsteigt, landet man unmittelbar in einer luftigen Installation Alice Bahras. Streng weiß auf dunkelgrauem Background. Ein weit gespanntes Ensemble dreieckiger Formen schwebt scheinbar in idealer Ruhe. Inmitten regt sich von unten animiert Bewegung. Tiefe Symbolik. Das alles wirkt sehr gegenwärtig. Es braucht den konkreten Bezug zur Realität nicht. Es spricht mittelbar. Erst im unmittelbaren persönlichen Gespräch (zum Beispiel zur Finissage am 14. Februar) ist man in der Lage, die konkrete Befindlichkeit künstlerischer Temperamente im widersprüchlich zerklüfteten Stadtensemble Potsdams zu erfragen.

Ein Besuch im Filmmuseum Potsdam, dokumentiert indes wiederum die orientierungslose Verwirrung der Kulturszene. Mit der Absicht, den am 11. Januar dieses Jahres 75 Jahre alt gewordenen Filmregisseur Rainer Simon zu ehren, sollten in dem Museum am vergangenen Wochenende gleich drei seiner besten Filme hintereinander gezeigt werden. In der Mitte »Till Eulenspiegel«, 1975 nach der Vorlage von Christa und Gerhard Wolf mit Winfried Glatzeder in der Titelrolle gedreht. Die Vorstellung begann, und es lief leider der falsche Film. Sofort erkennbar, es war »Die Abenteuer des Till Ulenspiegel«, 1956 als deutsch-französische Koproduktion der DEFA von Gerard Philipe mit sich selbst als Ulenspiegel gedreht. Nach wenigen Minuten entschuldigte sich der Vorführer: der Verleih habe den falschen Film geliefert.

Ein verzeihlicher Lapsus? Nein, ein unwürdiges Beispiel des Nachwirkens des Kalten Krieges im gegenwärtigen Potsdam. Eine Institution vom Niveau des Filmmuseums muss einfach wissen, dass es keinen Film von Gerard Philipe namens »Till Eulenspiegel« gibt. Die Kopie des nun unter dem Titel »Till Eulenspiegel« vollständig gezeigten Films ist juristisch ein Relikt einer trauriger Vergangenheit. Wie leider bei vielen Koproduktionen, wird im Vorspann unterschlagen, dass es sich hier um einen in und um Potsdam gedrehten Film der DEFA handelt. Auch namhafte Schauspielerinnen wie Marga Legal und Elfriede Florin werden nicht genannt.

Wenn man eine Erklärung dafür sucht, landet man in den Verwirrspielen jahrzehntelanger Nichtanerkennung der DDR. Dieser Film, für den Einsatz in der Bundesrepublik vorgesehen, wurde offenbar deshalb umbenannt, weil man davon ausging, das dortige Publikum kenne nur den deutschen Eulenspiegel. Der viel politischer agierende Ulenspiegel des Flamen Charles de Coster stand ganz bewusst im Mittelpunkt eines in der DDR produzierten Films.

Rainer Simons »Till Eulenspiegel«, anders rebellisch als der niederländische Namensvetter, sollte nun so schnell wie möglich tatsächlich im Filmmuseum zur Aufführung kommen. Das ist man dem verdienten Potsdamer Filmkünstler Rainer Simon wohl schuldig.

Oder ist Potsdam anderer Ansicht?

»Made in Potsdam«, Ausstellung im Kunstraum Potsdam, bis 14. Februar

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