Marschieren mit Reggae-Musik

Das Haus der Kulturen der Welt untersuchte auf dem »Krieg singen«-Festival den Einfluss von Musik auf die Eskalation von Gewalt

  • Alexander Isele
  • Lesedauer: 4 Min.

Man kann es sich nur schwer vorstellen: Reggae Musik zum Aufputschen der Soldaten vor Kampfhandlungen. Cornelia Nuxoll, Ethnologin und Religionswissenschaftlerin, berichtete auf dem »Krieg singen«-Festival im Haus der Kulturen der Welt (HKW), welche Rolle Musik im Bürgerkrieg in Sierra Leona zwischen 1999 und 2002 spielte. »Diese Lieder sind in dem westafrikanischen Land Teil des Alltags, Krieg ist nicht außerhalb des Alltags«, so Nuxoll. Reggae habe in Sierra Leone die Funktion, über soziale Ungerechtigkeiten zu informieren und zu politisieren. Gleichzeitig, so Nuxoll, habe die Musik sowohl körperliche als auch geistige Effekte. Dass Reggae genauso wie Marschmusik geeignet sein kann, um in den Krieg zu ziehen, ist eine der Erkenntnisse des Festivals.

Für Detlef Diederichsen, zusammen mit Holger Schulze Kurator des Festivals, gehen Musik und Krieg ein sehr enges, gar fast schon intimes Verhältnis miteinander ein. »Krieg steckt in der DNA der Musik«, so Diederichsen gegenüber »nd«. »Krieg steckt in jedem Rundfunkempfänger, in jedem Lautsprecher, deren technische Entwicklung für Kriegszwecke diente. Armeen leisten sich auch heute noch Musikkorps; fast die gesamte Musikszenen Äthiopiens mit ihrer blühenden Jazz- und Funkszene der 1960er Jahre bestand aus ehemaligen Militärs.«

Es ist die Oszillation, die die Musik in sich trägt und an der schon so mancher Musiker zugrunde ging: Wie Musik gemeint ist und wie sie genutzt wird. Milo Raus Installation »Hate Radio« zeigte in besonders eindrücklicher Weise diesen Zweiseitigkeit von Musik. 2011 als sogenanntes Reenectmant-Stück in dem original Gebäude des Ruandischen Radiosenders RTML aufgeführt, spielten Schauspieler und Überlebende des Genozids von 1994 eine Radiosendung des Senders nach, so wie sie tatsächlich stattgefunden hat. Der Radiosender war essenzieller Teil beim orchestrieren einer Stimmung, die den Völkermords der Hutu an den Tutsi ermöglichte. Es ist nicht verwunderlich, dass mit Simon Bikindi der einzige Musiker, der jemals von einem internationalen Strafgerichtshof wegen Aufwiegelung zu Völkermord verurteilt wurde, aus Ruanda stammt.

Es ist nicht neu, Musik gezielt auszusuchen und als Teil einer Inszenierung zu instrumentalisieren. Schon vor hundert Jahren änderten die Häuser ihre Programm, spielten nur noch patriotische Stücke und Hymnen, um darüber hinaus auch völlig unbeteiligte Stücke in ihrer Bedeutung zu vereinnahmen. Keine andere Band versteht es so wie Laibach, den Stil totalitärer Parteitags-Propaganda zu mimen - oder zu persiflieren? Auf dem Festival zeigte die Band Teile ihres als provozierend oder zumindest irritierend empfundenen Auftritts vor dem »Komitee für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland« in Nordkorea. Musik also als Ausdruck der inneren martialischen Logik von Staaten?

Die Gruppe Songhoy Blues erzählt eine weitere Geschichte des Oszillierens der Musik. Nachdem 2012 islamistische Milizen den Norden Malis unter Kontrolle brachten und eine Gewaltherrschaft errichteten, war Musik mit Instrumenten jeglicher Art verboten. Ins Exil geflüchtete Musiker gründeten im Ausland ihre Blues Band und beharren auf ihrem Recht zu singen. In ihren Texten kommentieren sie die politische Lage in ihrer Heimat.

Das Musik ganz gezielt auch zu Folterzwecken genutzt wird, ist seit einigen Jahren bekannt. Tore Tvarno Lind von der Universität Kopenhagen zeigte in seinem Vortrag nicht nur, wie Musik im globalen Krieg gegen den Terror als Foltermethode angewandt wurde, sondern auch, wie willkürlich sie ausgewählt wurde: Offiziere der US-Armee fragten nach Stereoanlagen und MP3-Playern von Soldaten, und spielten ab, was immer darauf zu finden war - egal ob Kinderlieder, Pop à la Christina Aguilera, Heavy Metal oder arabische Musik: bei 79 Dezibel (laut, aber unter der Schwelle, bei der das Gehör akut geschädigt wird) in Dauerwiederholung in Stufen von 24, 48 oder 72 Stunden, dazu Fesselung in Stresspositionen, Schlafentzug und extreme Hitze oder Kälte, bleibt von der Musik nicht viel übrig außer eine Überreizung des Gehirns.

Das Musik aber auch dazu genutzt wird, Erlebtes zu verarbeiten, dafür stand der Auftritt von Tri Minh und Van Mai. In ihrer musikalischen Auseinandersetzung mit dem Trauma des Vietnamkriegs erzeugten sie mit Klavier, einer elektro-akustischen Tonspur und einer Đàn tranh, einer vietnamesischen Zither, eine fast schon meditative doch trotzdem zwingende Stimmung.

Das Festival war der musikalische Beitrag des laufenden Programms »100 Jahre Gegenwart« des HKW, welches an das Anthropozän- Programm anschließt. Für Detlef Diederichsen ist die Folge logisch, jetzt da die Menschheit das Kommando über die Erde übernommen habe. »Da Menschen Gefallen an Gewalt finden, muss man untersuchen, was man erwarten muss.« Auch die Musik liefert dafür Beispiele.

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