nd-aktuell.de / 19.01.2016 / Politik

»DiEM 25« will verfassungsgebenden Konvent für Europa

Manifest der Bewegung des früheren griechischen Finanzminister Varoufakis: Erste Schritte zur »radikalen Demokratisierung« skizziert

Stephan Fischer

»Ein Gespenst sucht die Mächtigen Europas heim: eine Macht, die sie immer gefürchtet haben und zu korrumpieren, mystifizieren und schlussendlich zu unterdrücken versuchten – die Vision der Demokratie.« Mit diesen Worten beginnt das »Manifest zur Demokratisierung Europas«[1], der neuen europäischen Bewegung »DiEM 25« des früheren griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis, die am 9. Februar in Berlin starten soll[2]. Mit diesem Papier werden die Pläne für eine neue europäische Bewegung für Demokratie und gegen die aktuelle Austeritätspolitik konkreter.

Als »radikal einfache« Idee, die »DiEM 25« zugrunde liegt, formulieren die Verfasser folgenden Gedanken: »Demokratie ist kein Luxus, der Kreditgebern gewährt wird, während er Schuldnern verweigert wird.« Derzeit teile eine gerade eine gemeinsame, nicht demokratisch legitimierte, Bürokratie und eine gemeinsame Währung Europa. Ein Zusammenschluss von »ökonomisch naiven und finanziell inkompetenten« Offiziellen und Experten brächten Europa mit dem Beharren auf der Austeritätspolitik in Misskredit und provozierten einen anti-europäischen Rückfall – neu erwachter Nationalismus, Extremismus und Rassismus seien die Folge. Und nicht zuletzt wirtschaftlichen Niedergang. Grundsätzlich müssten vier Regeln wieder zur Geltung gebracht werden:

  1. Regeln und Gesetze müssen den Bürgern nützen, nicht umgekehrt.

  2. Währungen sollten Instrumente sein, kein Selbstzweck.

  3. Ein gemeinsamer Markt kann nur mit demokratischen Prinzipien übereinstimmen, wenn er Mechanismen zum Schutz von Schwächeren und der Umwelt enthält.

  4. Demokratie ist unerlässlich, um die zerstörerischen (und selbstzerstörerischen) Kräfte des Kapitalismus in Schach zu halten.

Die europäischen Institutionen hätten auf die Krise, die sie selbst zu verantworten hätten, zunehmend autoritär reagiert, analysiert das Manifest. Dies zeigen laut »DiEM 25« die »Niederschlagung des Athener Frühlings« und die von Troika und EU-Mitgliedsstaaten aufgezwungene Fortführung des Kreditprogrammes für Griechenland. Aber auch die Schnelligkeit, mit der beispielsweise nach den Anschlägen von Paris und angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen nationale Grenzen wieder hochgezogen werden, zeige die Unfähigkeit, »gemeinsame Lösungen für gemeinsame Probleme« zu finden. Von den derzeit herrschenden Institutionen, egal ob Regierungen, Brüsseler Organen wie die Kommission oder der Europäische Zentralbank (EZB) seien keine Lösungen erwarten.

Über einen Zeitraum von zehn Jahren bis zum Jahr 2025 skizzieren die Verfasser konkrete Schritte, die sie anstoßen und einfordern wollen. Zunächst sei sofortige Transparenz der Entscheidungen auf europäischer Ebene nötig – Treffen des Rates, der EZB oder Eurogruppe müssten live im Internet gestreamt werden, Protokolle ihrer Sitzungen spätestens wenige Wochen später veröffentlicht werden. Außerdem sollen den EU-Bürgern alle Dokumente zu den TTIP-Verhandlungen offengelegt werden.

Innerhalb eines Jahres müssten die bestehenden ökonomischen Probleme innerhalb der EU mithilfe der bestehenden Institutionen und Verträge angegangen werden. »DiEM 25« will dazu konkrete Vorschläge vorlegen, wie die vier miteinander verknüpften Bereiche anzugehen sind: die Schulden der öffentlichen Haushalte, der Bankensektor, unzureichende Investitionen und die steigende Armut. Laut »DiEM 25« liegen all diese Felder derzeit in der politischen Verantwortung nationaler Regierungen, die ihnen machtlos gegenüberständen – Kompetenzen und Befugnisse müssten zurück an die nationalen Parlamente, regionale Körperschaften sowie die Städte und Gemeinden gegeben werden.

Innerhalb von zwei Jahren will »DiEM 25« einen verfassungsgebenden Konvent für Europa initiieren, dessen Delegierte sollen transnational aufgestellt werden. Die Delegierten einer verfassungsgebenden Versammlung aus mindestens 15 europäischen Staaten sollen schlussendlich eine neue europäische Verfassung gestalten und zur Abstimmung vorlegen, die alle bisher bestehenden europäischen Verträge ersetzen soll.

»DiEM 25« benennt am Schluss des Manifests noch einmal vier grundlegende Prinzipien, um die Kontrolle über Europa »aus den Händen von Technokraten, die niemandem Rechenschaft schuldig sind, zurück in die Hände der Menschen« zu legen:

  1. Keine europäische Nation ist wirklich frei, solange die Demokratie in einer anderen verletzt wird.

  2. Keine europäische Nation kann in Würde leben, solange sie einer anderen verweigert wird.

  3. Keine europäische Nation kann auf wirtschaftlichen Aufschwung hoffen, solange andere permanent in wirtschaftlicher Depression gehalten oder gar in den Bankrott getrieben werden.

  4. Wirtschaftswachstum muss mit den Bedürfnissen der Menschen und ökologischer Balance in Einklang stehen.

Die als gesamteuropäisch angekündigte Bewegung habe »ein einziges, radikales Ziel: die EU zu demokratisieren«, sagte Varoufakis schon zu Beginn des Jahres: Man wolle versuchen, »die Energie der pro-europäischen, radikalen Kritiker der Institutionen in Brüssel und Frankfurt« zu bündeln, um einen »Zerfall der EU zu verhindern«, so der Ex-Minister.

Links:

  1. https://drive.google.com/file/d/0B-K6KD5Hr5qpaUtMOFRsdjdTMWM/view?pref=2&pli=1
  2. http://www.nd-aktuell.de/artikel/996620.plan-c-varoufakis-startet-neue-bewegung-in-berlin.html