Taten und Wunder

Im Halbfinale treffen die deutschen Handballer auf das zweite Überraschungsteam dieser EM: Norwegen

Für die deutschen Handballer geht es nach dem 25:23 gegen Dänemark um die EM-Medaillen: Im Halbfinale in Kraków ist Norwegen am Freitag die letzte Hürde auf dem Weg ins Endspiel.

Von Jirka Grahl, Wrocław

Die erstaunliche Geschichte der jungen deutschen Handballer bei der Europameisterschaft in Polen ist noch immer nicht zu Ende erzählt. Mit 25:23 (12:13) bezwang die Auswahl des Deutschen Handball-Bundes (DHB) den Titelfavoriten aus Dänemark in Wrocław und schaffte damit am Mittwochabend eine neuerliche Wendung in ihrer EURO2016-Story: Die Mannschaft mit den 14 EM-Debütanten erreichte als Gruppenzweiter das Halbfinale.

Die Finalrunde ist geschafft, eine Medaille greifbar und selbst der Turniersieg, der die direkte Olympiaqualifikation bedeuten würde, scheint im Bereich des Möglichen zu liegen. Schon werden für die deutschen Auswahlspieler die schiefen Analogien bemüht, die ihren Vorgängern im DHB-Trikot auch bei deren mythenumwobenem WM-Sieg 2007 angedichtet wurden: Wird die EM 2016 ein neuerliches »Wintermärchen«?

Nach dem Erreichen des Halbfinales erlaubte sich zumindest der Bundestrainer schon mal etwas Überschwang: »Ja, das ist eine Sensation!«, bestätigte Dagur Sigurdsson am Mittwochabend die entsprechende Nachfrage eines Reporters: »Ich bin wahnsinnig stolz auf die Jungs bei diesem Turnier. Wir haben uns von Spiel zu Spiel gesteigert, alles ist gut!«

Tatsächlich lieferten die Deutschen, die bei diesem Turnier den jüngsten Kader unter allen 16 Mannschaften aufgeboten haben, auch gegen die vermeintlich übermächtigen Dänen (Vizeweltmeister 2013, Vizeeuropameister 2014) eine überzeugende Leistung ab, und dass, obwohl ihnen am Sonntag zuvor gegen Russland sowohl Kapitän Steffen Weinhold als auch Rückraum-Ass Christian Dissinger verletzt abhanden gekommen waren.

Prunkstück der DHB-Auswahl bleibt dabei die Abwehr: Hier agierten Finn Lemke, Hendrik Pekeler und Kollegen am Mittwoch gegen die dänischen Rückraum-Torfabriken um Mikkel Hansen abwechselnd in einer 6:0-, 5:1- oder einer offensiven 4:2-Deckung. Doch auch nach vorne lief es rund: Steffen Fäth (6) und Fabian Wiede (5) trafen zuverlässig, die Außen Rune Dahmke und Tobias Reichmann verwirrten derweil immer wieder die dänische Defensive, wenn sie vor dem Sechsmeterraum kreuzten und ihren Kollegen aus der zweiten Reihe damit gute Wurfpositionen verschafften: »Wir haben sie nicht nur mit unserer Defensive immer wieder vor neue Aufgaben gestellt«, freute sich Dahmke, »auch unsere Verwirrungstaktik im Angriff ist aufgegangen. Die hatten wirklich Probleme mit der Zuordnung.«

Ob die fabelhafte Geschichte der Mannschaft am Freitag in Kraków (18.30 Uhr) gegen Norwegen abermals eine Fortsetzung findet? »Was jetzt noch kommt, weiß keiner: Es geht ab jetzt vor allem um den unbedingten Willen!«, umschrieb Dahmke das Siegrezept. Bundestrainer Sigurdsson witzelte hingegen, er sehe keinen Grund, warum seine Mannschaft nun plötzlich schlecht spielen solle.

Dennoch hält er viel von den Norwegern: »Das ist eine Mannschaft, wie man sie nicht als Gegner haben möchte.« Nicht nur darin ähnelten sie den Deutschen, sagt Sigurdsson: Beide hätten ein junges, hungriges Team, beide hätten recht junge Trainer, beide seien bei dieser EM als Außenseiter auf einer überraschenden Erfolgswelle ins Halbfinale getragen worden. »Es wird ein interessantes Spiel.«

Auch Norwegen hat seine Saga von den jungen Helden: Einer Auftaktniederlage gegen Island (25:26) und einem Unentschieden gegen Mazedonien ließ Norwegen beeindruckende Erfolge gegen die ganz Großen folgen: 34:31 gegen Kroatien, 30:28 gegen Polen und am Mittwoch schließlich ein 29:24 gegen den Olympiasieger, Weltmeister und Titelverteidiger Frankreich. Erstmals stehen die Norweger nun im EM-Halbfinale - ein Platz, der sonst eher Norwegens Superhandballerinnen vorbehalten ist: Die gewannen just im Dezember den WM-Titel in Dänemark. Nun schwärmen Norwegens Zeitungen neuerdings auch für ihre Handballmänner, selbst Ministerpräsidentin Erna Solberg gratulierte auf Twitter. »Es ist wie im Märchen«, freute sich Linksaußen Magnus Jöndal am Mittwoch.

Noch Unglaublicheres als den Norwegern gelang allerdings den Kroaten am Mittwochabend. Sie hatten gegen Gastgeber Polen in der Arena von Kraków einen Sieg mit mindestens 10 Toren zu schaffen, um vor den dann punktgleichen Polen und Franzosen doch noch ins Semifinale einzuziehen. Und vor 15 000 entsetzten Zuschauern machten sie das unmöglich Erscheinende wahr: Mit 37:23 warfen sie die Polen aus allen Medaillenträumen. Den verdutzten Gastgebern gelang erst nach neun Minuten der erste Treffer, nach 15 Minuten dann das 2:5, bevor Kroatien auf Nimmerwiedersehen davonzog.

»Wir haben immer an uns geglaubt«, freute sich Kapitän Marko Kopljar. Er trifft am Freitag mit seinen Kollegen im zweiten Halbfinale auf Spanien. Außer den Deutschen, die 2004 Europameister wurden, hat noch keiner der Halbfinalisten je ein EM-Turnier gewonnen.

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